Im BlickfeldContainerschifffahrt

In rauer See, aber nicht im Orkan

Die Feierlaune der Boom-Jahre ist verflogen. Der Containerschifffahrt setzen erodierende Transportpreise zu. Sparen bestimmt jetzt die Agenda.

In rauer See, aber nicht im Orkan

In rauer See, aber nicht im Orkan

Die Feierlaune der Boom-Jahre ist verflogen. Der Containerschifffahrt setzen erodierende Transportpreise zu. Sparen bestimmt jetzt die Agenda.

Von Carsten Steevens, Hamburg

Die Containerreedereien haben zu den großen Gewinnern in der Coronakrise gehört. Ein starker Anstieg der Güter- und Transportnachfrage ließ bei knappen Transportkapazitäten und gestörten Lieferketten die Preise für Warentransporte auf dem Seeweg in die Höhe schnellen und bescherte der Branche exorbitante Gewinne. Der börsennotierte Transport- und Logistikkonzern A.P. Møller-Mærsk etwa fuhr 2022 mit einem operativen Ergebnis (Ebit) von fast 31 Mrd. Dollar den höchsten Gewinn in der dänischen Unternehmensgeschichte ein. Die Hamburger Reederei Hapag-Lloyd, deren Aktien ebenfalls gelistet sind, kam im 175. Jahr ihrer Firmenhistorie auf über 17 Mrd. Euro. Die Rekordgewinne trieben nicht nur Eigenkapital und Liquidität der Gesellschaften in die Höhe. Ihre Aktionäre freuten sich ebenfalls, wurden doch Rekorddividenden verteilt.

Doch schon im vergangenen Jahr konnten Anleger auch den Abschwung nach der Sonderkonjunktur für die zyklische Branche gewahr werden: Der Shanghai Containerized Freight Index (SCFI), der die Spot-Frachtratenentwicklung auf den wichtigsten Handelsrouten von der weltweit größten Seehafenmetropole abbildet, fiel von 5.047 Dollar je Standardcontainer (TEU) Ende 2021 auf 1.108 Dollar/TEU ein Jahr später. In den ersten neun Monaten dieses Jahres setzte sich der Rückgang um ein Fünftel auf unter 890 Dollar/TEU und damit auf ein Niveau wie im Herbst 2019 kurz vor Beginn der Pandemie fort. Die Börsenkurse von Mærsk und Hapag-Lloyd sackten ab: Von ihren Spitzenwerten zum Jahreswechsel 2021/22 hatte die Aktie des Reedereikonzerns aus Kopenhagen zeitweise mehr als die Hälfte eingebüßt, das Papier der größten deutschen Containerreederei rutschte seit Mai 2022 um mehr als 70% ab.

Milliardengewinne vor der Tür

Nun zeigen die Prognosen der Unternehmen für das laufende Geschäftsjahr an, dass sich die Schifffahrt in rauerem Gewässer, aber nicht in einem Orkan befindet, wie sie ihn in den Jahren nach 2008 erlebte. Damals mündeten Überkapazitäten und ruinöser Preiswettbewerb in eine mehrjährige Branchenkonsolidierung mit der Folge, dass sich der Anteil der zehn größten Containerreedereien an den weltweiten Transportkapazitäten von rund 60% im Jahr 2013 auf über 80% im Jahr 2018 erhöhte. Sollte Mærsk 2023 die eigene Vorgabe eines Ebit am unteren Ende der Spanne zwischen 3,5 und 5,0 Mrd. Dollar erreichen, wäre der operative Gewinn immer noch doppelt so hoch wie 2019. Auch Hapag-Lloyd steuert mit 2,2 bis 3,1 Mrd. Euro auf das dritthöchste Ergebnis in der Geschichte des Unternehmens zu. Die Kassen sind nach wie vor gut gefüllt.

Doch die Transportpreise erodieren: Allein im dritten Quartal fiel die durchschnittliche Frachtrate sowohl bei Mærsk als auch bei Hapag-Lloyd um fast 60% verglichen mit dem Vorjahr. Zugleich bewegen sich die Aufwendungen infolge gestiegener Bunkerverbrauchspreise und hoher Inflation auf einem um rund 25% höheren Niveau als vor der Pandemie. Mit deutlichen Folgen für das Ergebnis: Der Branchenzweite aus Dänemark weist für den "Peak Season"-Abschnitt der Containerschifffahrt einen operativen Verlust von 27 Mill. Dollar in seinem Ocean-Segment aus – vor Jahresfrist standen in der Reedereisparte des Konzerns noch 8,7 Mrd. Dollar zu Buche.

Weil nach den Bestellungen während der vergangenen Jahre vermehrt neue Containerfrachter in den Verkehr kommen, das Verschrotten und Außerbetriebnehmen von Schiffen aber vorerst auf relativ niedrigem Niveau verharrt, haben es die Reedereien bis auf Weiteres mit einer schnelleren Zunahme der Transportkapazitäten im Verhältnis zur Nachfrage zu tun. Zugleich fallen die Erwartungen an das weltweite Wachstum von Konsum und Handel in den nächsten Quartalen verhalten aus.

Risiken nehmen zu

Die "neue Normalität, in die wir uns jetzt bewegen, ist", so sagte Mærsk-Chef Vincent Clerc dieser Tage, "geprägt von gedämpften makroökonomischen Aussichten und damit von einer schwachen Nachfrage für die kommenden Jahre, von Preisen, die wieder auf dem historischen Niveau liegen, von einem Inflationsdruck auf unsere Kostenbasis – insbesondere durch Energiekosten – und von einer erhöhten geopolitischen Unsicherheit". Diese Aussichten würden in der Schifffahrt durch zunehmende Risiken auf der Angebotsseite noch verstärkt. Seit dem Sommer habe man in den meisten Regionen Überkapazitäten gesehen, die eine Welle von Preissenkungen ausgelöst hätten. Zugleich habe das Abwracken und Auflegen von Tonnage noch nicht richtig begonnen. "Wir rechnen daher mit weiterem Gegenwind, da sich die Marktbedingungen im Ocean-Geschäft verschlechtern."

Auch bei Hapag-Lloyd ist die gute Stimmung der Boom-Jahre verflogen. "In dem eingetrübten Marktumfeld könnten einige herausfordernde Quartale auf uns zukommen, sollten sich die Spotraten nicht wieder erholen“, so Vorstandschef Rolf Habben Jansen. Sparmaßnahmen bestimmen wieder die Agenda der Reedereien. So verkündete Mærsk gerade, dem seit Jahresanfang durch einen Einstellungsstopp erreichten Wegfall von 6.500 Arbeitsplätzen einen weiteren Abbau von 3.500 Stellen bis 2024 folgen zu lassen, um durch die Reduzierung des Personalbestands auf unter 100.000 Mitarbeiter die Kosten um jährlich rund 600 Mill. Dollar zu drücken. Hapag-Lloyd sieht aktuell von einem größeren Stellenabbau ab, setzt aber auch auf Einsparungen auf der Beschaffungsseite und Optimierungen im Servicenetzwerk.

Klimaziel in Gefahr?

Branchenbeobachter wie Vincent Stamer vom Institut für Weltwirtschaft (IfW) in Kiel gehen davon aus, dass auf die Reedereien ein weiterer finanzieller Abschwung zukommt. "Die niedrigen Spotraten, die wir jetzt beobachten, beeinflussen auch die künftigen Vertragsraten – die größte finanzielle Belastung dürfte den Reedereien also noch bevorstehen." Allerdings sei das niedrige Niveau der Frachtraten von 2016 noch nicht erreicht, und die Menge der umgeschlagenen Container sei derzeit hoch, was die Umsätze stütze.

Laut Stamer profitieren im gegenwärtigen Umfeld jene Reedereien, die in andere Glieder der Transportkette wie Hafenterminals und andere Transportmodi investierten. Der Ökonom verweist aber auch darauf, dass die Gesellschaften stark in erneuerbare Antriebe investieren müssten. "Ich befürchte, dass diese Investitionen in diesem Umfeld nicht getätigt werden." Im großen Stil dürften die Reedereien erst von 2030 an die Dekarbonisierung in Angriff nehmen. Mit der vollen Klimaneutralität im Jahr 2050, so Stamer, werde es dann eng.

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