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Indien, ein schwieriger, aber umworbener Partner

Ob F&;E-Zentrum oder neue Solar-Hoffnung: Indien ist für die deutsche Wirtschaft längst mehr als eine verlängerte Werkbank. Aktuell wird das Land als China-Alternative umworben wie nie – trotz aller Schwierigkeiten.

Indien, ein schwieriger, aber umworbener Partner

Schwieriger, aber umworbener Partner

Ob F&E-Zentrum oder neue Solar-Hoffnung: Indien ist für die deutsche Wirtschaft längst mehr als eine verlängerte Werkbank. Aktuell wird das Land als China-Alternative umworben wie nie – trotz aller Schwierigkeiten.

Von Andreas Heitker, Delhi/Mumbai

Der Bau hat schon begonnen: 160 Mill. Euro investiert Siemens Healthineers aktuell in einen neuen „Innovation Hub“ in Indiens Tech-Metropole Bengaluru. Der neue Campus soll Forschung und Entwicklung (F&E) sowie Fertigung kombinieren. Schon heute kommt bei Siemens Healthineers mehr als die Hälfte der Software-Entwicklung aus Bengaluru. Der Konzern plant aber mehr: „Wir wollen den Standort auf ein neues Niveau bringen“, berichtete Vorständin Elisabeth Staudinger-Leibrecht, die seit zehn Jahren das Asiengeschäft verantwortet, in der vergangenen Woche auf einer deutsch-indischen Wirtschaftskonferenz in Delhi. Wenn der neue Hub 2025 einmal fertig ist und Hunderte weitere Mitarbeiter eingestellt sind, soll es eine Zusammenarbeit mit Start-ups und Krankenhäusern vor Ort geben. Indien soll für den Medizintechnik-Hersteller aus Erlangen das „Kompetenzzentrum für Design und Entwicklung von Einstiegsprodukten“ werden.

Mit dieser Strategie steht Siemens Healthineers längst nicht allein da. Indien als billige verlängerte Werkbank deutscher Unternehmen? Dies stimmt so längst nicht mehr. Der F&E-Fokus spielt dagegen eine immer größere Rolle. Beispiel Infineon Technologies: Das größte F&E-Zentrum des Chipproduzenten außerhalb der EU ist ebenfalls in Bengaluru zu finden. Zusammen mit den Standorten Pune und Noida kommt der Dax-Konzern derzeit auf rund 2.000 Mitarbeiter in Indien. Das sind zwar nur 5% der gesamten Beschäftigten. Die Zahl hat sich aber seit 2019 schon vervierfacht und soll ebenfalls weiter ausgebaut werden. Beispiel BASF: Der Chemiekonzern aus Ludwigshafen hat bereits 2017 ein Innovationszentrum in Mumbai eröffnet, das ebenso wie das Coating Technical Center in Mangaluru Teil der globalen Technologieplattform von BASF ist. Mumbai ist dabei der zweitgrößte F&E-Standort in Asien und der größte außerhalb von China.

Eine kürzlich veröffentlichte Umfrage der Deutsch-Indischen Handelskammer (AHK Indien) zusammen mit der Beratungs- und Wirtschaftsprüfungsgesellschaft KPMG zeigt, dass aktuell nur jedes zehnte deutsche Unternehmen mit Indien-Aktivitäten auch den Bereich Forschung und Entwicklung im bevölkerungsreichsten Land der Erde nutzt. 2028 werden es schon 25% sein. Die Ergebnisse der Umfrage zeigten, dass sich das Indien-Narrativ ändere, sagt Stefan Halusa, Hauptgeschäftsführer der AHK Indien. „Weg vom Niedrigkostenstandort und hin zu einem wichtigen Standort für F&E.“

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Aktuell sind rund 2.000 deutsche Unternehmen in Indien aktiv. Natürlich sind die Dax-Vorzeigekonzerne vor Ort: Mercedes. Die Deutsche Bank, die im Gegensatz zur US-Konkurrenz in Asien nicht nur auf China gesetzt hat. Siemens, die allein in Mumbai, wo heute drei Fabriken stehen, auf eine fast 60-jährige Geschichte blicken kann. Oder auch die Deutsche Post DHL mit ihren fast 36.000 Mitarbeitern vor Ort. Mittlerweile wird das Land aber auch für den deutschen Mittelstand attraktiv, der bislang unter anderem wegen der ausgeprägten indischen Bürokratie eher auf China gesetzt hat.

Auch für den Mittelstand attraktiv

So hat das SDax-Unternehmen SFC Energy erst am vergangenen Donnerstag in Delhi zusammen mit seinem indischen Partner FCTecNrgy einen ersten Produktionsstandort im Land eröffnet. Gefertigt werden hier künftig mobile Wasserstoff- und Methanol-Brennstoffzellen, die Diesel-Generatoren ersetzen können. Vom indischen Militär kamen bereits Großaufträge über 33 Mill. Euro, wie CEO Peter Podesser bei der Eröffnung verkündete. Er will bis Ende des Jahres rund 100 Mitarbeiter am neuen Standort beschäftigen. Mittelfristig peilt Podesser, der den globalen Markt für diese Brennstoffzellen-Lösungen auf 25 Mrd. Euro schätzt, hier einen Umsatz von 100 Mill. Euro an.

Bei der Eröffnung der Brennstoffzellen-Fertigung war auch Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck anwesend, der zusammen mit einer Wirtschaftsdelegation zu einer dreitägigen Reise durch Indien aufgebrochen war. Der Grünen-Politiker war bereits das fünfte deutsche Kabinettsmitglied, das dem Land in jüngster Zeit seine Aufwartung gemacht hat. Habeck war dabei der erste deutsche Wirtschaftsminister seit elf Jahren, der nach Indien gereist war. Die Zeit der Vernachlässigung und der ausschließlichen Konzentration deutscher Asien-Politik auf China sollte ein Ende haben.

Indien gilt heute bei den meisten europäischen Staaten, aber auch bei vielen Unternehmen als ideal, um die gefährlichen Abhängigkeiten von China zu senken. „Deutsche Unternehmen diversifizieren und regionalisieren sich immer mehr rund um den Globus. Indien wird zu einem wichtigen Eckpfeiler ihrer De-Risking-Strategie bei Einkauf, Produktion und zunehmend auch bei Forschung und Entwicklung”, erklärt Andreas Glunz, der Bereichsvorstand International Business bei KPMG.

Hinzu kommt, dass sich die aktuelle Regierung unter Premierminister Narendra Modi ambitionierte Ziele für die Entwicklung gesetzt hat. Spätestens zur 100-Jahr-Feier 2047 will das Land zu den wichtigsten Industrienationen gehören und Technologieführer in zahlreichen Zukunftssektoren sein. Die derzeitige G20-Präsidentschaft wird von vielen im Land bereits als Symbol für den Aufstieg in die globale Machtelite gefeiert. Für deutsche Unternehmen bietet diese Entwicklung auf jeden Fall Chancen, meint auch der neue Präsident des Kiel Instituts für Weltwirtschaft (IfW), Moritz Schularick. In vielen Bereichen, in denen die deutsche Wirtschaft Stärken aufweise, habe Indien Aufholbedarf, sagte er vor wenigen Tagen der Deutschen Presse-Agentur. Als Beispiele nannte er Infrastruktur und Verkehrssysteme. „Hier ist durchaus viel Potenzial da, auch für einen Boom für die deutsche Exportindustrie, wie wir ihn vielleicht zuletzt im Rahmen des chinesischen Wirtschaftswunders in den Nullerjahren erlebt haben.“

Auch für Andreas Urschitz, CMO von Infineon, hat Indien unter anderem als Absatzmarkt ein enormes Potenzial. Er verweist im Gespräch aber darauf, dass Infineon aktuell nicht plane, hier eine eigene Chipproduktion aufzubauen. „Die nötige Infrastruktur sowie das erforderliche Ökosystem mit Zulieferindustrie und Fachkräften sind noch nicht ausreichend vorhanden“, begründet er diese Entscheidung. Aufgrund von Skaleneffekten baue Infineon bevorzugt bestehende Produktionsstandorte aus. Also keine Produktionsverlagerung als Folge einer De-Risking-Strategie? „Unsere Antwort auf die geopolitischen Spannungen lautet ‚Grow in China wisely‘“, sagt Urschitz. Die Chipproduktion konzentriere Infineon ohnehin auf Deutschland, Österreich, die USA oder auch Malaysia.

Enpal, das Greentech-Unicorn aus Berlin, kann sich dagegen Indien auch als möglichen künftigen Produktionsstandort vorstellen. Das Unternehmen steht kurz vor einer ersten Kooperation in Indien, wie der Technische Geschäftsführer Henning Rath im Gespräch ankündigt.

Neue Solarproduktion geplant

Dies bedeutet allerdings auch für Enpal keine Abkehr von China. „Sowohl China als auch Indien pushen derzeit die Solarindustrie, vor allem auch Dachanlagen. Wir wollen in beiden Standorten ausbauen, aber auch Kooperationen in Ländern wie Vietnam oder Malaysia“, sagt Rath, der sich eine breite Diversifizierung wünscht – idealerweise einschließlich heimischer Produktion. An Indien beeindruckt ihn aber die sehr langfristige strategische Ausrichtung der Regierung und die sehr fokussierte Umsetzung. Auch im Solarsektor wolle das Land Technologieführer werden.

Vor allem will Indien eine eigene Solarproduktion aufbauen und damit erstmals nach Jahren dem Quasi-Monopolisten China wieder Konkurrenz machen. Im Zuge des Programms „Production Linked Incentives“ (PLI), das eine Art indische Antwort auf den Inflation Reduction Act (IRA) der USA ist, soll eine komplette solare Lieferkette aufgebaut werden, was entscheidend dazu beitragen soll, bis 2030 auf Erneuerbare-Energien-Kapazitäten von 500 Gigawatt zu kommen.

In Deutschland macht man sich bereits Hoffnung, an diesem Boom partizipieren zu können. „Indien macht sich mit bewundernswerter Geschwindigkeit auf den Weg in die solare Zukunft“, schwärmt Jörg Ebel, der Präsident des Bundesverbands Solarwirtschaft (BSW), der darauf verweist, dass es für Indien und Deutschland viel zu gewinnen gebe, wenn beide Seiten gemeinsam die richtigen Weichen stellten. „Deutschland wird seinen Fotovoltaik-Ausbau in den nächsten vier Jahren verdoppeln. Das wird eine riesige Kraftanstrengung, bei der wir jede Hilfe brauchen können“, sagt Ebel im Gespräch. Potenzial sieht er bei Rohstoffen wie Polysilizium, bei Solarkomponenten und bei Fachkräften. „Die Diversifizierung der Lieferketten ist ebenfalls von Vorteil für Deutschland, Indien kann demgegenüber von deutschen Produkten und Dienstleistungen profitieren.“

Nicht von ungefähr kommt daher aktuell viel Unterstützung der Bundesregierung für weitere Kooperationen. Im Zuge von Habecks Indien-Reise unterzeichnete etwa Sascha Krause-Tünker, Finanzvorstand des Dillinger Solarunternehmens Next2Sun, gleich drei Memorandums of Understanding (MoU): Mit dem Dachverband aller Solarenergie-Akteure in Indien will das Unternehmen künftig im Bereich Forschung und Datenaustausch für sogenannte Agrivoltaik zusammenarbeiten. Mit dem Institute of Agricultural Science geht es an die Erforschung von Pflanzenwachstum und seine Wechselwirkung mit Fotovoltaik-Installationen. Hinzu kommen Projekte mit Vertriebspartnern.

Von China noch weit entfernt

Das deutsch-indische Handelsvolumen kletterte 2022 bereits um 14% auf gut 31 Mrd. Dollar, liegt damit aber noch meilenweit vom Niveau des China-Handels entfernt. Als Absatzmarkt liegt Indien aktuell noch auf Rang 22, bei den Importen auf Platz 24. Die Bedeutung nimmt aber zu – trotz aller Probleme, zu denen deutsche Unternehmen immer wieder die ausufernde Bürokratie, die schlechte Infrastruktur und die verbreitete Korruption zählen. Zu den wichtigsten Bremsen zählen aber vor allem auch die hohen Zölle und nicht tarifäre Handelshemmnisse. KPMG und AHK Indien bezeichnen das Freihandels- und Investitionsschutzabkommen, das derzeit von EU-Seiten verhandelt wird, daher auch als einen möglichen „Game Changer“.

Die Sache ist aber kompliziert, auch wenn Wirtschaftsminister Habeck hofft, dass ein Abkommen noch vor den Europawahlen sowie den indischen Parlamentswahlen im kommenden Jahr in trockene Tücher kommen kann. Die Handelsgespräche haben bereits 2007 begonnen und wurden 2013 dann lange auf Eis gelegt. Hürden aus deutscher Sicht waren damals unter anderem Schutzmaßnahmen für den indischen Automobilsektor oder auch die Pharmaindustrie. Seit 2022 gibt es zwischen Delhi und Brüssel einen neuen Anlauf – die Verhandlungen entwickeln sich aber erneut zäher als erhofft. Die Interessen sind weiter unterschiedlich. Und Indien, das als De-Risking-Partner längst nicht nur von der EU umworben wird, ist sich seiner gestiegenen globalen Bedeutung durchaus bewusst und agiert und verhandelt entsprechend selbstbewusst. Dass das Land schon immer zurückhaltend bei der Integration in internationale Bündnisse war, kommt noch hinzu.

Problematisch aus europäischer Sicht ist auch die indische Haltung gegenüber Russland. Bislang hat es die indische Regierung nicht geschafft, den Angriffskrieg gegen die Ukraine klar zu verurteilen. Die historisch guten Beziehungen schon zur Sowjetunion spielen dabei eine Rolle, die Abhängigkeiten von russischen Militärlieferungen, aber auch die Angst vor einem Bündnis Russlands mit China. Und Indien nimmt nicht nur nicht an der Sanktionspolitik des Westens teil, sondern macht aktuell sogar noch gute Geschäfte mit billigen russischen Rohöllieferungen. Es gibt weiteren Diskussionsbedarf.

Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck am vergangenen Freitag beim Besuch des BASF Innovation Campus in Mumbai, wo er mit Start-ups diskutierte und ein “Kids Lab” eröffnete, bei dem Schüler für die Forschung begeistert werden sollen. Habeck sieht Indien als entscheidend für die Diversifizierung der deutschen Wirtschaft an und will die Beziehungen ausbauen.

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