Notiert in Moskau

Intransparent – bis hin zu Putins Tod

Zwischenzeitlich hat man in Russland den Eindruck, als falle man in überwunden geglaubte Zeiten zurück. Solange Putin lebt, wird sich daran wohl wenig ändern. Sofern er überhaupt noch lebt.

Intransparent – bis hin zu Putins Tod

Notiert in Moskau

Wie in den wilden Neunzigern

Von Eduard Steiner

Nun hat also mein Lieblingsschuhgeschäft im Moskauer Stadtteil „Universität“ offenbar seine Strategie geändert. Diese hatte gefühlte zwei Jahrzehnte lang darin bestanden, das ganze Jahr über die Waren mit einem Rabatt von 70 Prozent anzubieten. Vorwiegend italienische Markenschuhe – von Armani etwa, aber auch von Hugo Boss und anderen. Die Sache hatte natürlich einen Haken, denn meistens waren es Restexemplare und dann vorwiegend in Größen, die nicht meiner Durchschnittsgröße 42 entsprachen. So kam es, dass ich zwar – verleitet von den sensationellen Rabatten – regelmäßig eine Runde im Geschäft drehte, aber nur ein einziges Mal ein Paar kaufte. Und just dieses Paar Schuhe habe ich auf einer meiner Reisen später verloren.

Ein Teil meiner Moskauer Bekannten meinte übrigens, dass es sich bei den dortigen Waren ohnehin um Produktfälschungen handelte. Schon zu Sowjetzeiten hätten sich gute Produktionsstätten – etwa in Armenien – herausgebildet, die eine Meisterschaft darin entwickelt hätten. Wie auch immer: Nun gibt es, zumindest vorerst, keine Rabatte mehr.

Überhaupt scheint kein Stein auf dem anderen zu bleiben in den jetzigen Zeiten des Übergangs ins Ungewisse. Zwischendurch hat es sogar den Anschein, als falle das Land in die wilden und chaotischen 1990er Jahre zurück, deren Überwindung sich Kremlchef Wladimir Putin so gern auf die Fahnen schreibt.

Der russische Ölsektor etwa ist spätestens seit Einführung des westlichen Ölembargos inklusive Preisdeckels im Dezember vergangenen Jahres wieder um einiges intransparenter geworden. Die Konzerne sind zum Zweck der Steuerumgehung interessiert, den Anschein eines niedrigen Ölpreises zu wahren, zu dem sie das Öl in russischen Häfen verladen. Und den Gewinn, den sie durch einen überhöhten Aufpreis auf Transport und Versicherung erzielen, lassen sie jenen oft in Dubai registrierten Tradern und Reedereien zufließen, die nun einen Großteil des Öls exportieren und oft mit russischen Ölkonzernen verbunden sind, analysiert Sergej Wakulenko, Ex-Strategiechef des Ölkonzerns Gazprom Neft und heute internationaler Energieberater, die Situation. Zudem agieren sie mit einer großen Schattenflotte.

In einem gewissen Ausmaß intransparent ist nach wie vor auch der Alkoholmarkt. So haben dieser Tage der Inlandsgeheimdienst FSB und die föderale Steuerbehörde bekannt gegeben, dass vom Jahr 2020 an mehr als 40 Prozent des medizinischen und industriellen Alkohols in der kriminellen Schattenwirtschaft gelandet sind und damit eben auch in Spirituosen, für die eigentlich eine weitaus höhere Steuer gilt. Nicht alles floss in die Produktion von Spirituosen, aber doch ein beträchtlicher Teil. Denn auch wenn der Prozentsatz an illegal kursierenden Spirituosen in den vergangenen Jahren stark reduziert wurde, beträgt er immer noch 26,5%, weiß der Verband der Alkoholproduzenten.

Apropos Intransparenz: In der Frage um Putins Gesundheitszustand und seinen angeblichen Doppelgänger gibt es auch eine Entwicklung. Und zwar soll Putin inzwischen gestorben sein. Konkret am 26. Oktober um 20.42 Uhr in seiner Residenz in Waldai nahe Moskau. In die Welt gesetzt wurde dieses Gerücht abermals vom Telegram-Kanal General SWR, also einem angeblichen General des russischen Auslandsgeheimdienstes SWR. Die Abonnentenzahl des Kanals liegt nahe der halben Million. Dazu trägt auch Walerij Solowej bei, ein ehemaliger Professor der Moskauer Kaderschmiede für Diplomaten MGIMO, der mit seinen Sendungen den Kanal immer wieder pusht. Solowej, der auch immer wieder mit spektakulären Prognosen auftritt, die ab und zu stimmen und oft auch nicht, gilt manchen Beobachtern auch aufgrund seines Insiderwissens als Sprachrohr des Geheimdienstes.

Was der Telegram-Kanal und Solowej behaupten, ist, dass Nikolaj Patruschew, der frühere FSB-Chef und jetzige Sekretär des Sicherheitsrates der Russischen Föderation, heimlich bereits mit den USA hinsichtlich des Ukraine-Krieges verhandle. Vorerst eine Glaubensfrage.

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