Notiert in Mailand

Italien entvölkert sich

Die Entvölkerung weiter Landstriche Italiens schreitet immer weiter voran. Betroffen ist nicht nur der Süden. Auch im Norden sind große Teile verlassen. Neue Initiativen sollen helfen, den Exodus zu stoppen.

Italien entvölkert sich

Notiert in Mailand

Italien entvölkert sich

Immer mehr Regionen im Binnenland sind fast menschenleer

Von Gerhard Bläske

Drei Kilometer hinter Genua beginnt die Wildnis. Die bis zu 1.800 Meter hohen Berge des Ligurischen Apennins, Täler und Wälder erstrecken sich bis in die Vororte der Hafenstadt hinein. Viele Gehöfte und Siedlungen im Hinterland sind verlassen. Auf Wanderungen ist stundenlang kein Mensch zu sehen.

Gegenden wie diese gibt es viele in Italien. Das Land leidet nicht nur unter massiven Wanderungsbewegungen vom Süden in den Norden und ins Ausland. In ganz Italien gibt es erhebliche Wanderungsbewegungen auch innerhalb der Regionen: Vor allem jüngere Menschen gehen in die Städte der Po-Ebene wie Mailand, Verona oder Bologna – an die Küsten oder nach Rom, Bari, Neapel und Palermo. Ganze Landstriche veröden, auch weil die Bevölkerungszahl des Landes seit etwa zehn Jahren sinkt. Zurück bleiben die Alten. Allenfalls in den Sommerferien kommen Kinder und Kindeskinder vielleicht noch vorbei.

Zwar hat es in der Coronakrise auch Gegenbewegungen gegeben, zurück aufs Land. Doch davon profitiert haben vor allem Orte, die über gute Verkehrs- und Internetanbindungen sowie Schulen und Krankenhäuser verfügen. Viele Gemeinden sind isoliert: keine Bahnanbindung, schlechte Straßen, schlechtes Mobilfunk- und Internetnetz, keine Schulen, Krankenhäuser oder sozialen Einrichtungen.

„Leeres Italien“ heißt das neue Buch des Autors, Forschers und Filmemachers Filippo Tantillo. „Fahrt ins Landesinnere“, lautet der Untertitel. Tantillo hat sich aufgemacht in diese entvölkerten und vielfach vergessenen ländlichen Regionen, die ökonomisch und sozial abgehängt sind – ähnlich wie weite Teile Frankreichs oder Spaniens. Betroffen sind etwa 60% des Staatsgebiets. Dort leben mehr als 13 Millionen Einwohner.

Tantillo beschreibt das Leben dort, wo es kaum öffentliche Einrichtungen gibt. Sein Buch ist nicht ganz ohne Hoffnung, denn es geht auch um ambitionierte junge Leute, die es trotz allem probieren, die Projekte entwickelt haben. Das Phänomen der Entvölkerung, der „Orte außerhalb der Welt“, betrifft nicht nur Süditalien, Sizilien oder Sardinien, wo der Staat immer wieder – weitgehend vergebliche – Versuche gemacht hat, mit Milliardensummen die Entwicklung umzukehren. Davon zeugen viele Industrieruinen. Es gibt aber auch hier Städte, die sich gut entwickelt haben, Bari etwa oder Neapel, das zu einem IT-Zentrum geworden ist.

Von der Entvölkerung und dem Abgehängtsein betroffen sind neben dem Süden und den großen Inseln auch weite Teile Liguriens, Piemonts, der Toskana, der Emilia-Romagna, Venetiens, Friauls und sogar der reichen Lombardei mit dem wirtschaftlichen Herz Mailand.

Europa soll helfen

Mit Hilfe Europas werden nun neue Initiativen gestartet. Die mehrheitlich staatliche italienische Post hat vor einigen Monaten angekündigt, insgesamt 1,2 Mrd. Euro in 7.000 Gemeinden mit weniger als 15.000 Einwohnern zu investieren. Das Geld kommt zu zwei Dritteln aus dem Europäischen Wiederaufbauprogramm, dessen größter Nutznießer Italien mit 191,5 Mrd. Euro ist. Anders als in Deutschland ist die Post in Italien, die von den Finanzmärkten vor allem als Finanzdienstleister wahrgenommen wird,  noch sehr stark physisch präsent – mit 4.800 Niederlassungen im ganzen Land. 37% davon befinden sich in Kleinstkommunen. Dort sollen jetzt überall digitale Schalter eingerichtet werden, an denen rund um die Uhr staatliche Dokumente wie Einwohnermeldebestätigungen oder Geburtsurkunden ausgedruckt werden können. An einigen Standorten sollen auch Co-Working-Arbeitsplätze und Aufladestationen für die (wenigen) Elektroautos in Italien eingerichtet werden.

Viele Beobachter haben Zweifel, dass das Vorhaben gelingt. Denn dazu müssten die IT-Netze der sehr bürokratischen Verwaltung effizient miteinander verknüpft werden und der Netzausbau rasch voranschreiten. Auch Vandalismus könnte die Umsetzung des Vorhabens bremsen. Immerhin: Es tut sich etwas.

BZ+
Jetzt weiterlesen mit BZ+
4 Wochen für nur 1 € testen
Zugang zu allen Premium-Artikeln
Flexible Laufzeit, monatlich kündbar.