Notiert inMailand

Italiens Verkehrschaos

Italiens Regierung will mit einer Verschärfung der Straßenverkehrsordnung dafür sorgen, dass der Verkehr sicherer wird. Doch es spricht wenig dafür, dass das gelingen wird.

Italiens Verkehrschaos

Notiert in Mailand

Italiens Verkehrschaos

Von Gerhard Bläske

Angesichts vieler dramatischer Verkehrsunfälle vor allem junger Fahrer mit PS-starken Boliden hat die italienische Regierung eine drastische Verschärfung der Straßenverkehrsordnung auf den Weg gebracht, der aber noch das Parlament zustimmen muss. Vor allem das Fahren unter Alkohol- oder Drogeneinfluss, sehr häufig eine der Ursachen, soll stärker sanktioniert werden. Wiederholungstätern droht ein jahre- oder jahrzehntelanger Führerscheinentzug.

Zu den neuen Maßnahmen, die von Verkehrsminister Matteo Salvini vorangetrieben wurden, der hofft, damit etwas mehr Aufmerksamkeit zu erhalten, gehören auch eine Helm-, Nummernschilder- und Versicherungspflicht für Elektro-Tretroller. Das hat Vermieter wie Lime, Bolt, Helbiz und Dott auf die Palme gebracht. Sie haben in den letzten Jahren massiv in den Aufbau von Flotten in Italien investiert und verzeichnen jährlich fast zehn Millionen Einzelfahrten. Allein Rom zählt 14.500 solcher Roller. Die Anbieter könnten sich jetzt vom Markt zurückziehen, fürchten die Befürworter der Elektro-Tretroller.

Sie verweisen nicht zu Unrecht darauf, dass viele der Nutzer angesichts des oft schlechten öffentlichen Nahverkehrs gar keine Alternative haben. U-Bahnen oder andere schienengebundene Verkehrsmittel bleiben wegen „Wartungen“ oft wochenlang geschlossen. Und selbst in Rom verkehren Verkehrsmittel oft nur bis 22 Uhr. Auch der Schreiber dieser Zeilen hatte nach einem Konzertbesuch häufig nur noch die Möglichkeit, zu Fuß zu gehen. Taxis sind keine Alternative. Schon tagsüber gibt es in Großstädten wie Rom oder Mailand etwa an Bahnhöfen lange Warteschlangen vor Taxiständen. Abends gibt es nach einer Untersuchung der Verbraucherschutzorganisation Codacons gar nichts mehr: 42% der Anrufe wurden nicht einmal beantwortet.

Der damalige Premierminister Mario Draghi hat versucht, den Markt im Rahmen eines Gesetzes zur Förderung des Wettbewerbs zu liberalisieren und mehr Lizenzen zu vergeben. Doch nachdem wütende und lautstarke Taxifahrer tagelang den Verkehr lahmgelegt hatten, zog er das Vorhaben im Juli 2022 zurück. Die Rechtsparteien Lega und Fratelli dItalia, die jetzt eine Regierungskoalition bilden, hatten die Proteste unterstützt. Jetzt haben sie natürlich wenig Interesse, an der Situation etwas zu ändern und damit neue Proteste heraufzubeschwören.

Die Taxifahrer fürchten einen Wertverlust ihrer Lizenzen, deren Preis bei etwa 120.000 bis 140.000 Euro liegt. Sie fordern stattdessen mehr Sonderspuren für Busse und Taxis. Das scheitert oft schon am fehlenden Platz. Die Zahl der Taxi-Lizenzen, das sind in Rom derzeit weniger als 9.000, ist zuletzt im Jahr 2006 erhöht werden. Angesichts des extremen Touristenbooms und des bevorstehenden Heiligen Jahres 2025, zu dem 45 Millionen Touristen in Italiens Hauptstadt erwartet werden, will Bürgermeister Roberto Gualtieri nun die Zahl der Lizenzen erhöhen. Es ist fraglich, ob ihm das gelingt.

Italiener und Touristen müssen sich mit Geduld wappnen. Sie haben keine Alternative. Das eigene Auto ist angesichts der wachsenden Zahl von Mautgebühren, Zufahrtsbeschränkungen und teurer Parkplätze meist keine Alternative. Man kann zu Fuß gehen, auf die Vespa umsteigen oder Fahrrad fahren. Mit dem Rad zu fahren ist jedoch höchst gefährlich: In Mailand bleibt man häufig zwischen Straßenbahnschienen oder Pflastersteinen hängen. Und gerade wurde wieder eine Frau von einem Lkw überrollt, weil sie der Fahrer im toten Winkel nicht erkannt hat. Auch in Rom sind die Straßenlöcher, die angesichts der schwachen Beleuchtung nachts schwer zu sehen sind, eine große Gefahr.

Zwar sieht die neue Straßenverkehrsordnung vor, dass Autos beim Überholen eines Fahrrads einen Abstand von 1,5 Metern einhalten müssen. Auch richten immer mehr Kommunen separate Fahrradwege ein. Doch viele Fahrradwege werden von Joggern, Spaziergängern oder spielenden Kindern in Beschlag genommen – das Radfahren gleicht dort oft eher einem Slalom-Parcours.

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