Im Blickfeld10 Jahre Corporate Governance-Kodex

Japan erhört die Signale der Aktionäre

Die Einführung des Corporate Governance Kodex vor zehn Jahren läutete einen Paradigmenwechsel in Japans Unternehmensführung ein. Aber Aktivisten und die Tokioter Börse mussten nachhelfen.

Japan erhört die Signale der Aktionäre

Japan erhört die Signale der Aktionäre

Die Einführung des Corporate-Governance-Kodex vor zehn Jahren läutete einen Paradigmenwechsel in Japans Unternehmensführung ein.

Von Martin Fritz, Tokio

Diesen Monat jährt sich zum zehnten Mal die Einführung des Corporate-Governance-Kodex in Japan durch die Finanzaufsicht FSA. Der Kodex, ein Teil der „Abenomics“-Reformen des damaligen Premiers Shinzo Abe, legt „grundlegende Prinzipien für eine wirksame Unternehmensführung“ in Japan fest. Er sollte das Vertrauen der Kapitalanleger in Unternehmen stärken und deren langfristige Wertschöpfung fördern. Konkret forderte diese regulatorische Leitlinie die „volle Offenlegung“ von Abläufen und Entscheidungen im Verwaltungsrat, mehr Kommunikation mit den Aktionären und mindestens zwei unabhängige Direktoren.

Prinzip „Einhalten oder Erklären“

Die Kodex-Reform zielte darauf ab, japanische Unternehmen für ausländische Investoren attraktiver zu machen. Abe glaubte, dass ohne starke Unternehmen Japans Wirtschaft die Folgen der alternden und schrumpfenden Bevölkerung nicht bewältigen könnte. Der Kodex sollte Manager letztlich dazu ermutigen, Gewinne zu steigern, Kapitalkosten zu beachten und mehr Geld an Aktionäre auszuschütten. Zuvor konzentrierten sich die Führungsetagen auf Umsatz, Marktanteile und Firmengröße, ohne die Aktionäre zu beachten. Wirklich unabhängige Direktoren waren selten.

Die Kodex-Vorgaben waren nicht verpflichtend, aber es galt das Prinzip „Einhalten oder Erklären“. Viele Unternehmen, besonders im Binnenmarkt, reagierten zunächst träge. Auslandsanleger erkannten das Potenzial des Wandels nicht. Wegen langsamer Fortschritte überarbeitete die Finanzaufsicht den Kodex 2018 und 2021. Unternehmen sollten Nominierungs- und Vergütungsausschüsse mit unabhängigen Mitgliedern einrichten, wechselseitige Kapitalbeteiligungen abbauen, mehr Ausländer und Frauen in den Verwaltungsrat berufen und die Nutzung des Eigenkapitals offenlegen.

Börse fördert Umsetzung

Die Tokioter Börse flankierte den Kodex mit eigenen Maßnahmen. Bei der Neustrukturierung der Segmente führte sie die Bedingung ein, dass Unternehmen im neuen „Prime Market“ mindestens ein Drittel unabhängige Direktoren berufen. Vor zwei Jahren forderte die Börse, dass Unternehmen einen Aktionsplan vorlegen, falls ihr Börsenwert kleiner ist als die Vermögenswerte. Nach dem Prinzip „Beschämen statt Benennen“ veröffentlicht sie seit Anfang 2024 eine Positivliste solcher Unternehmen, um Nachzügler bloßzustellen.

Zum 10-jährigen Jubiläum fällt die Bilanz positiv aus. In den Vorstandsetagen wuchs die Einsicht, dass die vom Kodex geforderten Änderungen notwendig sind. Zusammen mit dem schwachen Yen weckte dieser Kulturwandel das Interesse von ausländischen Investoren. Sie befürchteten, den Anschluss zu verpassen. Früher schlossen japanische Unternehmen die Reihen und stützten sich auf Überkreuzbeteiligungen oder Ankerinvestoren, um unliebsame Angebote und Forderungen zu ignorieren. Heute müssen sich die Vorstände aktiv engagieren. Sie bauen wechselseitige Kapitalbeteiligungen durch Verkäufe oder Privatisierungen ab, wodurch die Abwehr gegen ausländische Übernahmen schwindet. Mit den Gewinnen stiegen auch ihre Ausschüttungen in Form von Aktienrückkäufen und Dividenden auf neue Rekordhöhen.

M&A-Aktivitäten vervielfacht

Ausländische Anleger entdeckten den Aktienmarkt neu. Der Nikkei 225 verdoppelte sich, der Topix stieg um 70%. M&A-Aktivitäten vervielfachten sich. Bieter wetteiferten bei feindlichen Übernahmen, Aktivisten stiegen bei Unternehmen mit Bargeldreserven, ungenutzten Immobilien und wertvollen Tochtergesellschaften ein. In diesem Jahr stellten sie auf den Hauptversammlungen von 52 Firmen Forderungen auf. Kauf- und Buy-Out-Angebote, etwa Toyota Industries, erreichten nie gesehene Volumen.

Trotz dieses Wandels blieb die Zivilgesellschaft ruhig. Ein Grund ist das geringe politische Engagement vieler Japaner. Ebenso wichtig war die Strategie, im Kodex „Corporate Value“ statt „Shareholder Value“ zu betonen. Das Signal: Nicht nur Aktionäre, sondern alle Beteiligten, von Arbeitnehmern bis Kunden, sollten vom Wandel profitieren, um die Akzeptanz für die Umwälzungen zu erhöhen.

Angesichts der langsamen Fortschritte überrascht es nicht, dass in der Unternehmensführung noch erhebliche Mängel bestehen. Trotz aller Veränderungen stieg die Eigenkapitalrendite der Nikkei-225-Unternehmen seit der Kodex-Einführung von rund 8% um weniger als zwei Punkte auf knapp 10%, deutlich unter dem Dax 40 und S&P 500. Der Abstand erklärt sich vor allem durch hohe Bargeldreserven vieler Unternehmen, eine Folge der traumatischen Erfahrung des Platzens der Spekulationsblase der 1980er Jahre, als viele Firmen plötzlich riesige Schulden hatten. Seitdem horten sie Barmittel und meiden Kredite.Ein weiterer Mangel: Unabhängige Direktoren stellten laut Börsendaten vom Juli 2024 nur bei 20% der rund 1.600 Unternehmen im Prime Market die Mehrheit im Verwaltungsrat, während dies bei US-Unternehmen Standard ist. Laut Nicholas Benes, Gründer des Board Director Training Institute in Tokio, haben japanische Unternehmen mit über 50% unabhängigen Direktoren ein Kurs-Buch-Verhältnis (KBV) von 2,29 und eine Gesamtrendite für Aktionäre (TSR) von 9,3%. Der Durchschnitt im Prime-Segment liegt mit einem KBV von 1,5 und einer TSR von 8% deutlich darunter.

Wenig unabhängige Direktoren

Benes sieht in schwachen Präsenz unabhängiger Direktoren eines der größten Mankos der Unternehmensführung in Japan. Hinzu kommt, dass Kriterien fehlen, um Management-Entscheidungen zu bewerten, da der Kodex den „Unternehmenswert“ nicht definiert. Er schlägt vor, die Definition aus den M&A-Richtlinien des METI-Ministeriums zu übernehmen, die diesen Wert als „Summe aus Marktkapitalisierung und Nettoverschuldung“ beschreibt. „Der Verwaltungsrat sollte klar seine Rolle bei der Steigerung der Marktkapitalisierung – also des Aktienkurses, dem wichtigsten Treiber des Unternehmenswertes – auf mittlere bis lange Sicht betonen“, schreibt Benes. „Dies wird selbst im Dialog mit Aktionären oft missverstanden.“

Eine verbesserte Governance ist auch bei Hauptversammlungen (HV) nötig. Laut ISS finden in diesem Jahr 60% aller HVs im Juni statt, davon jede vierte am 27. Juni. Diese „Juni-Ballung“ (rokugatsu shuchu) erschwert Aktionären die Teilnahme an mehreren HVs und überlastet sie bei der Vorbereitung von Anträgen. Auch veröffentlichen die Unternehmen ihren Geschäftsbericht erst nach der HV. Das verhindert Nachfragen der Aktionäre zu Inhalten. Zudem listen die Berichte nur die zehn größten Aktionäre auf. Daten zu Wertpapiertransaktionen ihrer Manager fehlen. Hier fordern private und institutionelle Anleger mehr Transparenz.

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