LEITARTIKEL

Japanisierung einer Allianz

Ungewöhnlicher und erfolgreicher als Renault-Nissan ist kein einziger länderübergreifender Autobund gewesen. Aus einem bankrotten japanischen Autobauer und einem ineffizienten französischen De-facto-Staatsunternehmen hat der geniale Manager Carlos...

Japanisierung einer Allianz

Ungewöhnlicher und erfolgreicher als Renault-Nissan ist kein einziger länderübergreifender Autobund gewesen. Aus einem bankrotten japanischen Autobauer und einem ineffizienten französischen De-facto-Staatsunternehmen hat der geniale Manager Carlos Ghosn innerhalb von knapp zwei Jahrzehnten den weltweit größten Fahrzeughersteller geschmiedet. Dank der Übernahme von Mitsubishi Motors vor zwei Jahren sprang der Jahresabsatz auf 10,6 Millionen Einheiten – das sind mehr als bei Volkswagen. Früh wie kein anderer Massenhersteller setzte der Verbund auf Elektroautos und Assistenzsysteme und verschaffte sich einen Vorsprung im Wandel der Automobilbranche.Aber dieser Dreierbund leidet an einem Konstruktionsfehler, der nun den Sturz von Ghosn herbeiführte: Einerseits ist Nissan eine Tochtergesellschaft von Renault. Andererseits gibt es eine Allianz-Gesellschaft in den Niederlanden, in der Nissan und Renault gleichberechtigt sind. Die Interessenkonflikte, die sich daraus ergeben, überbrückte Ghosn, indem er sich selbst zum absoluten Herrscher über beide Unternehmen und die Allianz machte und allen seinen Willen aufzwang.Aber je länger Ghosn das Zepter schwang und je schwergewichtiger Nissan wirtschaftlich und technologisch in der Allianz wurde, desto unerträglicher wurde dieser Zustand für die japanische Seite. Dank der starken Position auf den wichtigsten Automärkten China und USA macht Nissan ein Drittel mehr Umsatz als Renault und setzt zwei Fünftel mehr Autos ab. Die Hälfte von Renaults Gewinn stammt aus Japan. Zudem meldet Nissan doppelt so viele Patente an. Dennoch beschwor Ghosn den “Geist der Allianz”, der wichtiger sei als das Machtverhältnis beim Kapital.Doch als der Franzose im Februar unerwartet als CEO und Chairman von Renault bestätigt wurde und bald darauf den “unumkehrbaren” Zusammenschluss vorbereitete, verloren viele Nissan-Manager das Vertrauen, dass Ghosn weiter ihre Interessen vertrat. Jedoch wagte niemand den offenen Aufstand gegen den “Kaiser”. Dann gaben die Informationen eines Whistleblowers CEO Hiroto Saikawa einen Grund, Nissan vor Ghosn zu schützen. Den Rest erledigte die japanische Justiz. Ob dies ein Putsch war, blieb bisher unklar. Jedenfalls gibt es nun niemanden mehr, der die Widersprüche der ambivalenten Machtstrukturen übertüncht. Die Führung von Nissan will dieses Vakuum nutzen und sitzt dabei am längeren Hebel: Erstens würde Renault wegen der Größe von Nissan unter einem Ende der Allianz mehr leiden als die Japaner. Zweitens darf Nissan laut einer Abmachung von 2015 Anteile von Renault kaufen, falls sich die Japaner in ihrer Existenz vom französischen Staat bedroht fühlen. Umgekehrt darf Renault jedoch keine Aktien von Nissan erwerben.Daher drängt Nissan nun auf eine Japanisierung: Die Kapitalstruktur soll zugunsten von Nissan geändert werden und Renault das Recht verlieren, die Top-Posten von Nissan zu besetzen. Die Gegenstrategie von Renault ist schon zu erkennen: Paris will an den bisherigen Machtverhältnissen nichts ändern und spielt auf Zeit – der französische Staat als Großaktionär von Renault fürchtet nämlich den Verlust von Arbeitsplätzen in Frankreich. Wenn sich die Gemüter beruhigt haben, würde Renault womöglich einen neuen Anlauf für eine Fusion unternehmen.Aber die französische Seite sollte die Entschlossenheit von Nissan und bestimmter Regierungskreise in Japan, sich aus den Fängen von Renault zu befreien, besser nicht unterschätzen. In der Konzernzentrale in Yokohama glaubt man, es allein schaffen zu können. Falls sich Paris nicht bewegt, wird Nissan ihren Anteil an Renault von 15 % auf 25 % erhöhen. Dann werden nach japanischem Recht die Stimmrechte der Franzosen wertlos. Dieser einseitige Schritt wäre sicher das Aus für den Verbund. Wegen der bereits fortgeschrittenen Integration von Lieferketten und Produktion würde sich eine solche Trennung jedoch über Jahre hinziehen und beiden Unternehmen enorm schaden. Zudem beraubten sich Renault und Nissan ihres bisherigen Größenvorteils.—–Von Martin FritzEin Ende der Allianz würde Renault und Nissan enorm schaden, weil der Größenvorteil verloren ginge.—–