Jede Menge Ministerpräsidenten
Notiert in Frankfurt
Jede Menge Ministerpräsidenten
Von Detlef Fechtner
Da kann man ziemlich schnell durcheinanderkommen. Von einem der unglaublich zahlreichen Wahlposter, die Frankfurt derzeit in eine große, bunte Plakatausstellung verwandelt haben, lächelt „unser Ministerpräsident“ Boris Rhein. Zwei Straßen weiter grüßt von der Plakatwand Nancy Faeser, „Ministerpräsidentin für Hessen“. Und wenn man dann wiederum zwei Ecken weitergeht, dann empfiehlt uns ein Aufsteller der Grünen „Tarek Al-Wazir als Ministerpräsident“. Wer im Mai vergangenen Jahres nicht mitbekommen hat, dass der Christdemokrat Rhein zum Landesvater gewählt wurde, kann bei so vielen Ministerpräsidenten schnell einem Irrtum erliegen.
Rhein hat aktuell die besten Chancen, dass er sich auch nach dem 8. Oktober mit dem Titel schmücken darf. Denn die CDU führt in den Prognosen deutlich – wahlweise mit Werten knapp unter oder über der 30-%-Marke. Die Sozialdemokraten pendeln in den Umfragen derweil um die 20%-Marke, gefolgt von den Grünen. Der AfD wird ein Stimmenanteil knapp unter oder sogar vergleichbar den Grünen vorhergesagt.
Da Linke, freie Wähler und die sonstigen Parteien gegenwärtig mehr als 10% der Stimmen ausmachen und zudem die FDP an der 5-%-Hürde scheitern könnte, sind aus heutiger Sicht eine Fortsetzung von Schwarz-Grün oder eine schwarz-rote Regierung realistische Optionen. Für eine Ampel dürfte es unterdessen wohl selbst dann nicht reichen, wenn die Liberalen den Sprung in den Landtag schaffen. Aber wahrscheinlich ist die Lust aller Beteiligten, sich in Wiesbaden das anzutun, was in Berlin bereits viel Kraft kostet, mehr als überschaubar. Bemerkenswerterweise werben die Parteien insbesondere dort um Wähler, wo sie ohnehin stark sind. Allem Anschein nach geht es also weniger um die Last-Minute-Überzeugung von Wechselwählern als vielmehr um die Mobilisierung der Stammkundschaft. Die Grünen haben das halbe Nordend tapeziert, die Christdemokraten dominieren das Holzhausenviertel, die Liberalen sind nahezu flächendeckend im Bankenviertel präsent. Insofern geben die Parteien damit den Anwohnern Hinweise, wie sie sonst nur der Wahlomat liefert – im Sinne von: Welche Partei wäre in meiner Wohnlage eigentlich die erste Wahl?
Selbst die Kleinstparteien sind im Straßenbild sichtbar. Und davon gibt es bei der Hessenwahl mehr als genug. Natürlich Tierschutzpartei, Piraten und Volt, die gefühlt schon fast zu den etablierten politischen Angeboten zählen – auch wenn mancher ihrer Wahlslogans überrascht („Lebenswerte Städte wie in Utrecht“, „Mitmachpolitik wie in Reykjavik“). Und auch „Die Basis“, die „Humanisten“ oder die „Neue Mitte“ scheinen vergleichsweise vertraut. Aber auf dem Wahlzettel sind auch Parteien zu finden, bei denen auf den ersten Blick unklar ist, ob es sich nicht auch um Spaßfraktionen wie „Die Partei“ (Renteneintrittsalter mit 80 Jahren) oder wie die „Anarchistische Pogo-Partei Deutschlands“ handelt. Da ist zum einen die „Partei für Veränderung, Vegetarier und Veganer“, die V3. Und zum anderen die „Partei für schulmedizinische Verjüngungsforschung“. Letzterer kann man immerhin attestieren, dass sie aus der perspektivischen Enge einer Amtszeit ausbricht und weit über die Legislaturperiode hinausdenkt. Denn auf ihren Wahlplakaten prangt die spannende Frage: „Wo willst Du in 800 Jahren leben?“