Notiert in London

Kein Wort vom Krieg!

Viele Briten haben ein positives Bild von Deutschland. Umso größer ist das Erstaunen darüber, was sich dort abspielt.

Kein Wort vom Krieg!

Notiert in London

Kein Wort vom Krieg!

Von Andreas Hippin

Wenn man sich in Großbritannien im Zug mit anderen Reisenden unterhält, sind diese meist davon überzeugt, dass die Bahn in Deutschland pünktlich ist und auch sonst alles funktioniert. Sie können es kaum glauben, dass es auch dort Verspätungen und Zugausfälle gibt. So gut ist das Bild, das viele Briten von Deutschland haben. Das positive Image geht auf die Fußball-WM zurück, auf gute Erfahrungen mit deutschen Autos, die landauf, landab in den Wohnvierteln die Straßen säumen. Unter Akademikern fanden Bücher wie „Why the Germans Do It Better“ von John Kampfner großen Anklang.

Deutsche Nachbarn hat man dagegen eher selten. Unter Urlaub in Deutschland können sich die wenigsten Briten etwas Attraktives vorstellen. Dabei bevölkerten ihre Vorfahren im 19. Jahrhundert die Kreuzfahrtschiffe auf Rhein und Mosel. Heute ist es für sie ein vergleichsweise exotisches Reiseziel. Entsprechend weit von der Wirklichkeit entfernt ist das Bild, das man von dem Land hat. Man könnte es mit dem stets in Nebel gehüllten London aus den Edgar-Wallace-Verfilmungen vergleichen, das in Deutschland zumindest in der älteren Generation noch viele im Kopf haben. Immerhin bestimmen Deutsche in Nazi-Uniformen schon lange nicht mehr das Geschehen auf den Fernsehbildschirmen.

Umso größer ist die Verwunderung in Großbritannien über das, was sich derzeit bei den Krauts abspielt. Beim Wirtschaftswachstum sind sie das Schlusslicht unter den entwickelten Industrieländern. Das politische System ist offenbar nicht in der Lage, die dringend nötige Modernisierung einzuleiten, nachdem das bisher verfolgte Geschäftsmodell nicht mehr funktioniert. Das immer wieder gern bemühte Klischee vom Faxgerät, über das angeblich immer noch ein Großteil der Kommunikation läuft, stimmt zwar so nicht mehr. Aber bei der Digitalisierung gibt es erhebliche Rückstände.

Immer wieder wird man von Freunden, Kollegen oder Geschäftspartnern gefragt, was denn eigentlich los sei in Deutschland. Der „Telegraph“-Kolumnist Matthew Lynn verglich die in Berlin reagierende Koalition mit einer britischen Regierung, in der sich die linke Labour-Politikerin Angela Rayner, die einzige grüne Unterhausabgeordnete Caroline Lucas und der ehemalige Schatzkanzler Kwasi Kwarteng zusammenraufen müssten. Dem ist hinzuzufügen, dass Lucas in Deutschland wohl nicht Mitglied der Grünen wäre, sondern eher bei den Aktivisten der Letzten Generation.

Es fehlt mancherorts nicht an Schadenfreude darüber, dass es dem zuvor unbesiegbar scheinenden Rivalen derzeit nicht so gut geht. Aber es überwiegt das Erstaunen. Schließlich findet man in Großbritannien vieles von dem gut, was das Leben in Deutschland prägt. Das Bemühen, einen Konsens zu finden, wenn es zu Konflikten kommt, würden auch viele Briten der immer stärker werdenden gesellschaftlichen Polarisierung vorziehen. Das deutsche Berufsbildungssystem und die Mitbestimmung genießen ebenfalls große Anerkennung. Denn man hat erkannt, dass es keine guten Arbeitsverhältnisse schafft, wenn die Arbeitgeber auf jederzeit austauschbare angelernte Arbeitskräfte setzen. Man weiß, dass sich deutsche Arbeitnehmer stärker für ihre Unternehmen engagieren und bereit sind, Verantwortung zu übernehmen. Zudem hat man großen Respekt vor den Leistungen deutscher Erfinder und Ingenieure.

Alles in allem ist man in Großbritannien mit Blick auf Deutschland vielleicht weniger pessimistisch als in Berlin, Hamburg oder München. Den Deutschen wird viel zugetraut. Sie haben sogar Humor, wie man bei persönlichen Begegnungen überrascht feststellt. Mehr als manche Tugendwächter der BBC: Vor drei Jahren wurde ausgerechnet die Episode „The Germans“ der Serie “Fawlty Towers“ mit dem Monty-Python-Urgestein John Cleese von 1975 wegen angeblich rassistischer Äußerungen aus dem Streaming-Angebot UKTV verbannt. Dabei handelt es sich um eine Satire auf den britischen Umgang mit dem Krieg. Don’t Mention the War! Aber das muss man erst einmal verstehen.    

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