KommentarSchuldenregeln

Illusion strenger Haushaltskontrolle

Europas Finanzminister haben sich auf eine gemeinsame Position zu einheitlichen Schuldenregeln verständigt. Sie haben dafür viel Kritik einstecken müssen – und einige Vorbehalte sind durchaus gerechtfertigt.

Illusion strenger Haushaltskontrolle

EU-Schuldenregeln

Illusion strenger Haushaltskontrolle

Von Detlef Fechtner

Am Tag nach der Verständigung über die künftigen Schuldenregeln in Europa könnte man meinen, die Verhandlungsführer hätten alles richtig gemacht. Schließlich sind alle Seiten gleichermaßen unzufrieden. Es gibt lautstarke Kritik derer, die sich mehr Kontrolle nationaler Haushalte gewünscht haben. Und es gibt andererseits geharnischte Beschwerden derer, die sich Spielräume für Investitionen auch in finanziell schwierigen Zeiten wünschen.

Natürlich gibt es Punkte, die man an der Verständigung der Finanzminister kritisieren kann. Sie enthält etliche Ausnahmeklauseln, die es Regierungen ermöglichen, doch mehr Schulden zu machen als verabredet, ebenso wie wachsweiche Formulierungen, die es Regierungen erleichtert, Defizitverfahren abzuwehren. Und sie bestätigt die starke Rolle der EU-Kommission in der Haushaltskontrolle, auch wenn viele längst das Vertrauen in die EU-Behörde als Hüterin der Haushaltsregeln verloren haben.

Denen, die über das Ergebnis bitter enttäuscht sind, muss man allerdings politische Naivität vorwerfen. Dass Frankreich oder Italien einer Reform der Haushaltsregeln zugestimmt hätten, die quasi automatisch dazu führen würden, dass Paris oder Rom von ihren EU-Nachbarn finanzpolitisch komplett die Hände gebunden werden, ist eine Illusion. Insofern sollte der Prüfmaßstab nicht sein, ob die Regeln in Zukunft Defizitsünder unter striktes Kuratel stellen, denn das ist unrealistisch. Sondern vielmehr, ob sie effektiver als bislang EU-Länder dazu bringen, ihre Schuldenberge abzubauen. Einige Elemente des Kompromisses könnten tatsächlich dazu beitragen, etwa realistischere Abbaupfade, Sicherheitspolster für Konjunkturschwankungen oder auch geringere Sanktionen, denn drakonische Sanktionen wurden in der Vergangenheit nie angewandt.

Dass vor allem Italien bereit war, auf Drängen des Nordens einigen dieser "Sicherheitslinien" zuzustimmen, zeigt, dass es in Rom allem Anschein nach Sorgen vor Marktturbulenzen und damit Refinanzierungsschwierigkeiten gibt, falls sich der Süden überhaupt nicht bewegt hätte. Vor diesem Hintergrund gibt es zumindest die Hoffnung, dass Europas Hochschulden-Länder bereit sind, die Regeln ernst zu nehmen, auf die sich der Rat verständigt hat und die nun noch mit dem Parlament abgestimmt werden müssen. Ja, das ist weniger als eine regelgebundene, strikte Kontrolle nationaler Haushalte. Aber es ist zumindest mehr als gar keine Verständigung. Denn das wäre fatal gewesen, auch für Deutschland.

Es ist politisch naiv, zu glauben, Frankreich oder Italien würden Regeln zustimmen, die ihnen finanzpolitisch komplett die Hände binden.

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