Im BlickfeldAktionärsaktivismus

Kräftemessen mit Aktivisten

Attacke! Der Angriff von Hedgefonds auf börsennotierte Unternehmen hat eine neue Qualität bekommen. Das zeigt der Fall Brenntag.

Kräftemessen mit Aktivisten

Kräftemessen mit Aktivisten

Attacken wie bei Brenntag bekommen eine neue Qualität, auch weil die einflussreichen Stimmrechtsberater häufiger mitmischen

Von Annette Becker, Düsseldorf

Das ist gerade nochmal gut gegangen: Brenntag hat den Angriff des aktivistischen Investors Primestone Capital in der vorigen Woche abgewehrt. Zwar wurden die beiden von der Verwaltung vorgeschlagenen Aufsichtsratskandidaten nur mit jeweils gut 60% der Aktionärsstimmen in das Kontrollgremium gewählt. Doch da die einflussreichen Stimmrechtsberater ISS und Glass Lewis die vom Aktivisten aufgestellten Gegenkandidaten unterstützen, darf Brenntag das Wahlergebnis als überzeugenden Erfolg verbuchen, war doch keineswegs auszuschließen, dass die eigenen Kandidaten durchfallen könnten. Am Ende schaffte es Primestone nicht, ausreichend Mitaktionäre für die eigene Sache zu gewinnen.

Die Ereignisse bei Brenntag sind als Fanal zu verstehen, denn die zuletzt gehäuft auftretenden Attacken aktivistischer Investoren auf deutsche börsennotierte Unternehmen haben eine neue Qualität bekommen. „Neu in Deutschland ist, dass Stimmrechtsberater gezielt involviert werden und diese die Forderungen der Aktivisten unterstützen“, sagt Michael Brellochs, Partner der Kanzlei Noerr und Co-Leiter der Praxisgruppe Corporate, im Gespräch mit der Börsen-Zeitung. „Dadurch bekommt das Vorgehen aktivistischer Investoren eine neue Qualität, denn ISS und Glass Lewis sind zentrale Akteure. Sie bestimmen das Abstimmungsverhalten insbesondere ausländischer institutioneller Investoren, die im Dax und MDax weit verbreitet sind.“

Brenntag ist kein Einzelfall. Auch bei Deutsche Wohnen schlug sich ISS auf die Seite des Hedgefonds Elliott und unterstützte dessen Antrag auf Sonderprüfung. Da Vonovia aber 87% an Deutsche Wohnen hält, war dem Antrag von Anfang an keine Aussicht auf Erfolg beschieden.

Angelsachsen in der Mehrheit

Nach der jüngsten Studie zu den Eigentumsverhältnissen im Dax, die der Deutsche Investor Relations Verband DIRK zusammen mit S&P Global Market Intelligence seit zehn Jahren erstellt, brachten es nordamerikanische Investoren 2022 auf einen Anteilsbesitz an den 40 Dax-Gesellschaften von 43,3%, gefolgt von Investoren aus dem Vereinigten Königreich mit einem Anteil von 18%. Bei vielen dieser Investoren handelt es sich um passive oder kleinere aktive Fonds, die sich bei ihrem Abstimmungsverhalten strikt an den Empfehlungen der Stimmrechtsberater orientieren, sei es, dass das die hauseigenen Anlagerichtlinien vorschreiben oder die Kapazität für eigenes Research fehlt.

Nach einschlägigen Schätzungen ist die Empfehlung der Proxy Advisor für 30 bis 35% des Streubesitzes maßgeblich. „Wenn man die Stimmrechtsberater ISS und Glass Lewis gegen sich hat, wird es schwierig“, weiß Rechtsanwalt Gerrit Clasen von der Kanzlei Ashurst, der vor Jahren den Autozulieferer Grammer bei der Verteidigung gegen die Unternehmerfamilie Hastor beraten hat.

Auch Brenntag zeigte sich ob des Vorgehens der Stimmrechtsberater überrascht, zumal sich die Berater der institutionellen Investoren, die bisweilen auch mit Ratingagenturen verglichen werden, bei ihrer Beurteilung offenbar ausschließlich auf öffentlich verfügbare Informationen stützten. Öffentlich will sich zum jetzigen Zeitpunkt jedoch kein Brenntag-Manager zur Sache äußern.

Haben sich die Stimmrechtsberater in der Vergangenheit vor allem mit Governance-Themen auseinandergesetzt, ist ihr Themenspektrum inzwischen deutlich breiter geworden. Das hat nach Einschätzung von Brellochs damit zu tun, dass die Proxy Advisor inzwischen selbst stärker reguliert sind. „Die Regulierung in der EU zwingt die Stimmrechtsberater zu mehr Transparenz und verpflichtet sie, sich bei ihren Empfehlungen am Aktionärsinteresse auszurichten“, sagt der Noerr-Anwalt.

Kleine Aktienpakete reichen

Hinzu kommt, dass sich auch das Vorgehen der Aktionärsaktivisten verändert hat. Engagierten sich die Hedgefonds früher vornehmlich mit ihren eigenen Stimmen, um in der Hauptversammlung Druck auf das Management auszuüben – erforderlich ist dafür ein Aktienpaket von mindestens 10 bis 20% –, kommen die auf Veränderung pochenden Investoren heute mit wesentlich kleineren Aktienpaketen und damit wesentlich geringerem finanziellen Einsatz ans Ziel. Primestone wagte den Vorstoß bei Brenntag nach eigenen Angaben mit einem Anteilsbesitz von gut 2%, wobei der Hedgefonds Engine Capital auf den Zug mit aufgesprungen war.

Als Vorreiter für die neue Form des Aktivismus gilt Paul Singer mit seinem Hedgefonds Elliott, der hierzulande seit Jahren Furore macht und seine Finger unter anderem bei Thyssenkrupp, Uniper und Bayer im Spiel hatte. Das bislang krasseste Lehrstück lieferte der US-Hedgefonds Engine No. 1, dem es 2021 bei ExxonMobil mit einer Beteiligung von lediglich 0,02% gelungen war, drei der zwölf Mandate im Verwaltungsrat mit eigenen Kandidaten zu besetzen und dem Ölkonzern strengere Klimaziele aufzuzwingen.

Nach Einschätzung von Clasen ist „der ESG-Aktivismus aus den USA herübergeschwappt“ mit weitreichenden Folgen. „Das klassische Abstimmverhalten der Stimmrechtsberater, die in der Regel empfehlen, mit der Verwaltung zu stimmen, ist passé. Sowohl die großen Institutionellen als auch die Stimmrechtsberater schauen sich zunehmend die Forderungen der Aktivisten an“, ist Clasen überzeugt. Wenngleich es bei Brenntag nicht um ESG-Themen ging, zeige der Fall exemplarisch, „dass andere Institutionelle und auch die Stimmrechtsberater zunehmend offener werden für Themen von Aktivisten“.

Das Vorgehen ist immer das gleiche: Zunächst versuchen sich die Aktionärsaktivisten im direkten Dialog mit dem Management des Unternehmens Gehör zu verschaffen. Beißen sie dort auf Granit, wird das Thema in die Öffentlichkeit getragen. Problematisch dabei ist, dass sich die Aktivisten mit diesem Vorgehen in der Regel die Deutungshoheit über ein Thema sichern und das Unternehmen im Anschluss alle Hände voll zu tun hat, die Dinge wieder ins rechte Licht zu rücken. Bei Brenntag beispielsweise schwört das Management Stein und Bein, die Fusionsgespräche mit Univar aus eigenem Antrieb abgeblasen zu haben. Derweil nimmt Primestone für sich in Anspruch, die Fusion nur durch beherztes Einschreiten verhindert zu haben.

Doch was kann ein Unternehmen tun, wenn Aktionärsaktivisten an Bord sind? „Wenn man die Frage nach der Verteidigungsstrategie stellt, ist es meist schon zu spät. Die richtige Strategie ist, gar nicht erst in diese Situation zu kommen, sondern im engen Kontakt mit den wesentlichen Aktionären und Stakeholdern zu sein und kritische Themen selbst anzugehen“, rät Brellochs und ergänzt: „Die Unternehmen müssen ihr Portfolio, die Kapitalallokation, die Performance und ESG-Themen fortlaufend kritisch hinterfragen.“ Ins gleiche Horn bläst Clasen: Für Unternehmen sei entscheidend, für den Fall der Fälle einen Masterplan in der Schublade zu haben. „Um sich auf etwaige Angriffe vorzubereiten, gilt es die Punkte zu analysieren, die Aktivisten als Einfallstor dienen könnten“, so die Empfehlung.

Ankeraktionär gesucht

Das A und O ist dabei die Kommunikation. Gerade in Transformationsphasen eines Unternehmens reicht es nach Ansicht von Experten nicht, nur einmal im Quartal mit den wesentlichen Stakeholdern zu sprechen. Für Unternehmen mit breit gestreutem Kapital gilt die Suche nach einem Ankeraktionär als letzte Ausflucht. Mit ihm kann zumindest sichergestellt werden, dass es in der Hauptversammlung nicht zu Zufallsmehrheiten kommt. Beliebte Adressen sind Staatsfonds aus Asien oder dem Nahen Osten.