LEITARTIKEL

Kreativ bis ins Molekül

Zum Glück gibt es auch Großprojekte in Deutschland, die in Ruhe zu Ende gebracht werden." So viel Selbstbewusstsein trägt Evonik angesichts des gelungenen Börsendebüts zur Schau. Man mag darüber streiten, ob dieser via Zeitungsanzeige verbreitete...

Kreativ bis ins Molekül

Zum Glück gibt es auch Großprojekte in Deutschland, die in Ruhe zu Ende gebracht werden.” So viel Selbstbewusstsein trägt Evonik angesichts des gelungenen Börsendebüts zur Schau. Man mag darüber streiten, ob dieser via Zeitungsanzeige verbreitete Seitenhieb auf Deutschlands Großbaustellen wie die Elbphilharmonie in Hamburg oder den Flughafen Berlin/Brandenburg die Grenze des guten Geschmacks überschreitet. Zumal Evoniks Ankunft an der Börse ja keineswegs Ergebnis eines erfolgreichen IPOs ist, sondern das – clever genutzte – Resultat der zahlreichen Fehlversuche. Eines aber ist unstrittig: Die Werbekampagne anlässlich der Notierungsaufnahme ist ebenso kreativ wie das Unternehmen selbst.Sechs Jahre ist es inzwischen her, dass die RAG, die an der Nadel der Steinkohlesubventionen hing, in den weißen und schwarzen Bereich aufgespalten und damit die Voraussetzung für den Börsengang des weißen Bereichs (Evonik Industries) geschaffen wurde. Zeitnah, hieß es damals, sollte der Börsengang von Evonik erfolgen. Dass daraus nichts wurde, lag – wie auch bei den späteren Anläufen – nicht nur am ungünstigen Kapitalmarktumfeld.Neben politischen Störfeuern machte Evonik nämlich auch die Aufstellung als Mischkonzern zu schaffen, sind Konglomerate am Aktienmarkt doch nicht allzu beliebt. Ganz anders dagegen die Sichtweise von Finanzinvestoren, die das Aufbrechen gewachsener Unternehmensstrukturen als Hebel für Wertsteigerungen nutzen. Evonik ist in diesem Sinne ein Paradebeispiel, denn die Rechnung, die CVC beim Kauf der Sperrminorität 2008 aufmachte, ging weitgehend auf. Am aktuellen Börsenwert bemessen hat die Sperrminorität einen Wert von 3,8 Mrd. Euro entsprechend einer Wertsteigerung binnen fünf Jahren von nahe 60 %. Damit liegen die Essener auf Augenhöhe mit BASF, die ihren Marktwert in dieser Zeit in ähnlicher Größenordnung ausbaute. Nebenbei bemerkt: Der US-Konzern DuPont, den Evonik 2012 in Bewertungspanik als Vergleichsunternehmen heranzog, hat in dieser Zeit nicht einmal 10 % an Wert gewonnen.Sicher, CVC gab einen Teil der Aktien vorbörslich zu niedrigeren Kursen ab, und auch die 2008 in Aussicht gestellte Wertverdoppelung binnen fünf Jahren wurde bislang (noch) nicht erreicht. Doch die Zerschlagung ist eben auch noch nicht vollendet.Da ist die Energiesparte Steag zu nennen, die Evonik Anfang 2011 mehrheitlich an ein Stadtwerkekonsortium aus dem Ruhrgebiet verkaufte. Seither wird die Steag zwar nicht mehr konsolidiert, gleichwohl gehören noch immer fast 49 % zum Evonik-Portfolio – auch wenn der Exit über eine ausgeklügelte Optionsvereinbarung abgesichert ist. Zudem ist Evonik beim Verkauf im Zusammenhang mit dem Steinkohlekraftwerk Walsum 10 eine weitreichende Haftungsübernahme eingegangen. Ein Umstand, den Investoren bei der Bewertung sicher nicht außer Acht lassen, zumal sich die Fertigstellung des Kraftwerks – Stichwort: Großprojekte – um Jahre verzögert. Fakt ist aber auch, dass sich die Essener zu einem günstigen Zeitpunkt von ihrem Kohleverstromer verabschiedeten. Denn der Preis von 1,2 Mrd. Euro für das Eigenkapital dürfte sich eingedenk der inzwischen ausgerufenen Energiewende heute kaum mehr erzielen lassen. Die Kursentwicklung von Eon und RWE in den vergangenen beiden Jahren zeigt dies eindrucksvoll.Auch mit Blick auf die Immobilien haben die Essener Einfallsreichtum bewiesen. Denn mit Ausnahme einer Beteiligung von gut 8 % sollte das Betongold mit Abschluss des dritten Quartals 2013 aus der Bilanz verschwunden sein. Zugleich bessern die Essener ihre bilanziellen Kennzahlen mit dem schrittweisen Verkauf erheblich auf. In Summe, so verheißt es zumindest der Zulassungsprospekt, fließen Evonik 1,9 Mrd. Euro an Cash zu und die Nettoverschuldung (inklusive der Pensionsverbindlichkeiten) verringert sich um 3,2 Mrd. Euro. Die komplexe Transaktion hat freilich ein Geschmäckle, sind es doch die Mutter RAG-Stiftung, die Steinkohleschwester RAG und der eigene Pensionsfonds, die die Immobilien nolens volens aufs Auge gedrückt bekommen.Immerhin kommt Evonik damit aber im letzten Entwicklungsstadium zum reinrassigen, breit gestreuten Spezialchemiekonzern an. Denn erst wenn die Stiftung ihre Beteiligung auf eine Minderheit zurückgeführt hat, ist das 2005 gestartete Großprojekt zur Finanzierung des Ausstiegs aus dem Steinkohlebergbau tatsächlich beendet. Wetten, dass bis dahin schon viele Konzerte in der Elbphilharmonie stattfandenVon Annette Becker Evonik ist an der Börse. Bis zum breit gestreuten, reinrassigen Spezialchemiekonzern ist jedoch noch immer eine ordentliche Wegstrecke zurückzulegen.—–