Langfristrisiken der Allianz

Für Aktionäre der Allianz fällt Weihnachten in diesem Jahr voraussichtlich aus. Erstmals seit 2013 dürfte der Aktienkurs (ohne reinvestierte Dividende) schlechter sowohl als der Deutsche Aktienindex als auch als der relevantere Vergleichsmaßstab...

Langfristrisiken der Allianz

Für Aktionäre der Allianz fällt Weihnachten in diesem Jahr voraussichtlich aus. Erstmals seit 2013 dürfte der Aktienkurs (ohne reinvestierte Dividende) schlechter sowohl als der Deutsche Aktienindex als auch als der relevantere Vergleichsmaßstab Stoxx Europe 600 Insurance abschneiden. Zumindest aktuell liegt die Allianz-Aktie nur 2 % über dem Niveau des Jahresanfangs, während beide Indizes 12 % bzw. 14 % im Plus sind. Auch der Kapitalmarkttag des Versicherers Anfang Dezember korrigierte dieses Missverhältnis nicht, obwohl den Aktionären erstmals eine stetig steigende Dividende zugesagt wurde. Was läuft schief?

Es gibt eine naheliegende Erklärung. Sie ist zudem für den Absturz des Kurses seit Juni treffend. Eine Aktiengesellschaft, gegen die das US-Justizministerium ermittelt, ist für zahlreiche Investoren tabu. Daher lassen sie aktuell die Finger von der Allianz. Denn der Versicherer ist im Visier der amerikanischen Politik, seitdem beispielsweise Pensionsfonds ihn mit Milliardenklagen wegen einer speziellen Anlagestrategie überziehen. Erst ein Vergleich, der bestenfalls rückwirkend im Abschluss 2021 verarbeitet wird, nimmt diesen Druck vom Kurs.

Doch damit ist es nicht getan. Die Dynamik der Allianz-Kursentwicklung lässt schon seit längerem zu wünschen übrig. Dem Amtsantritt von Oliver Bäte als Vorstandsvorsitzender folgten vier goldene Jahre. In jedem Turnus übertraf die Allianz die durchschnittliche Wertentwicklung der 600 anderen europäischen Versicherer, und drei von vier Mal war auch der Dax die schlechtere Anlage. Doch dann wendete sich das Blatt. 2019 ging die Allianz gleichauf mit den beiden Konkurrenten ins Ziel, im darauffolgenden Jahr war der Dax fast zwölf Punkte besser. Vor der Konkurrenz der anderen Versicherer konnte die Allianz noch einmal einen Vorsprung herausholen, doch dieser wird nun wahrscheinlich ebenfalls verloren.

Die Allianz leidet dabei unter einer Vorliebe des Kapitalmarkts. Spezialversicherer etwa im Schaden- und Unfallgeschäft sind gefragt, ihre Unternehmensbewertung floriert. Dagegen meiden die Investoren global agierende Mehrsparten-Gesellschaften. Dafür gibt es einige Gründe. Länderübergreifende Synergien in der Assekuranz können viele Anleger nicht identifizieren, die Komplexität wird als zu groß eingeschätzt. Außerdem haben sie Zweifel, ob Konglomerate ihren Kundenkontakt angesichts des Technologieumbruchs überall halten können.

Der Hauptfaktor für die Kaufzurückhaltung jedoch ist die Sparte Lebensversicherung, die die Allianz wie jeder Assekuranz-Multi mitbringt. Mit der global hohen Verschuldung der Länder infolge der Pandemie müssen die Zentralbanken den Zinssatz in den nächsten Jahren niedrig halten, um Staatspleiten zu verhindern. Die Angst der Investoren: Die Assekuranz kann ihre Policen mit Garantien langfristig nicht mehr finanzieren. Die Aktienkurse leiden, die Kapitalkosten für Lebensversicherer schießen in die Höhe.

Die Allianz zieht die Konsequenzen. Da Garantien im Neugeschäft kaum mehr eine Rolle spielen und der Kunde mit den höheren Renditechancen künftig auch einen Gutteil des Kapitalmarktrisikos tragen muss, wird der Bestand durchgeputzt. Policen, die eine hohe Kapitalunterlegung verlangen, reichen die Münchner per Rückversicherung an den Privatsektor weiter, in dem ein eindrucksvolles Schattensystem entsteht. Allerdings schlagen die Aktionen so lange nicht spürbar auf die Allianz-Bewertung durch, wie eine Lösung für das Riesenbuch in Deutschland fehlt. Einen Verkauf oder eine Rückversicherungslösung à la USA hat die Allianz ausgeschlossen.

Langfristige Risiken sehen Investoren auch in Teilen der Sachversicherung. Der Klimawandel droht teuer zu werden, zusätzlich hat Corona gezeigt, wie fragil die Versicherung von Unternehmen sein kann. Die Allianz hält dagegen. Das Großkundengeschäft wird saniert, das Angebot für mittelgroße Firmen global gebündelt, so wie es Konkurrenten tun. Die Allianz soll für die Makler zum verlässlicheren Partner werden. Die Erfolge werden sich erst in einiger Zeit zeigen. Auch in den anderen Sparten strebt die Allianz Schritt für Schritt eine Produktentwicklung aus einer Hand an. An Zentralisierung führt kein Weg vorbei.

Die Allianz folgt momentan keiner spektakulären Strategie, sondern setzt Schritt für Schritt. Sie hat in der Vergangenheit bewiesen, dass sie auch so vorankommt. Die Zusage einer stetig steigenden Dividende zeigt, dass die Münchner gute Chancen haben, die Ziele auch in Zukunft zu erreichen.

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