Lecornu und die Quadratur des Kreises
Frankreichs Haushalt
Lecornus Quadratur des Kreises
Von Gesche Wüpper
Mit Flickwerk und ständig neuen Steuern wird Frankreich nicht weiterkommen.
Er nimmt sich Zeit und gibt sich bedeckt. Am 9. September von Frankreichs Präsidenten Emmanuel Macron zum neuen Premierminister ernannt, hat Sébastien Lecornu noch immer keine Regierung vorgestellt. Denn als erstes, so sein Auftrag, soll er mit den im Parlament vertretenen politischen Kräften verhandeln, um einen Haushalt verabschieden zu können. Lecornu muss nun die Quadratur des Kreises gelingen. Denn noch nie war die Nationalversammlung so gespalten, noch nie Macron und seine Alliierten im Parlament so geschwächt wie jetzt, fast anderthalb Jahre vor den Präsidentschaftswahlen im Frühjahr 2027.
Zugeständnisse gefährden Defizitziel
Damit zeichnen sich zwei Dinge ab: Lecornu wird die zeitlichen Vorgaben der Verfassung für eine Vorlage des Haushalts bis Anfang Oktober nicht einhalten können. Zudem wird er beim Budget Zugeständnisse machen müssen, um den von den extremen Rändern links und rechts drohenden Misstrauensanträgen zu entgehen. Irgendwann im Oktober wird er dann seine Minderheitsregierung präsentieren, wofür er sich allerdings die Unterstützung der Sozialisten holen muss. Sie fungieren als Zünglein an der Waage. Die Haushaltsanstrengungen dürften deshalb – wie von diesen gefordert – eher gedämpft ausfallen. Die von Lecornus Vorgänger geplanten 44 Mrd. Euro werden wohl nicht erreicht. Statt der von den Sozialisten verlangten Reichensteuer von 2% auf Vermögen über mehr als 100 Mrd. Euro könnte der neue Premier die Rückkehr der 2018 durch eine Immobiliensteuer ersetzte Vermögenssteuer ISF vorschlagen. Auch eine Verlängerung der im Haushalt 2025 eigentlich nur für ein Jahr beschlossenen Sonderabgabe auf Konzerne mit einem Umsatz von mehr als 1 Mrd. Euro könnte herauskommen.
Wachstumsmotor stottert
Das Haushaltsdefizit, mit 5,8% das höchste der Eurozone, dürfte 2026 nicht wie geplant auf 4,6% sinken. Zumindest bis zum Sommer schien Frankreich auf gutem Wege, das Defizitziel von 5,4% in diesem Jahr zu erreichen. Doch das Ziel scheint heute ferner denn je. Denn die politische Krise belastet die Stimmung der Haushalte, so dass der traditionell wichtigste Wachstumsmotor der französischen Wirtschaft, der Privatkonsum, ins Stottern geraten ist. Deshalb kassiert der Staat weniger Mehrwertsteuern als geplant, weshalb einige Experten ein Defizit von gar 5,7% befürchten.
Primärdefizit ausmerzen
Bei der Verschuldung gab es bereits eine böse Überraschung. Sie ist im zweiten Quartal um 70,9 Mrd. Euro auf 3.416,3 Mrd. Euro gestiegen trotz eingefrorener Ausgaben. Mit 115,6% des Bruttoinlandproduktes (BIP) hat Frankreich die dritthöchste Schuldenquote der Eurozone nach Griechenland und Italien. Staat, Gebietskörperschaften und die Sozialversicherung geben seit 1975 stets mehr aus, als sie einnehmen. Um die Quote zu stabilisieren, müsste zumindest das Primärdefizit, der Fehlbetrag vor Schuldendienst, sinken. Es liegt aktuell bei rund 3,5%. Noch mehr Einsparungen sind nötig.
Langfristige Strategie tut Not
Ein radikales Umdenken in der Haushaltspolitik wäre geboten. Mit Flickwerk und immer neuen Steuern wird Frankreich nicht vorankommen. Die zweitgrößte Euro-Wirtschaft muss eine langfristige Strategie entwickeln und verstärkt bei den Ausgaben ansetzen, statt das Problem stets über die Einnahmen lösen zu wollen. Dazu müssten sich jedoch alle politischen Akteure einig sein, dass jeder einen Beitrag leisten muss. Zwar halten alle die hohe Verschuldung für das Kernproblem, doch haushaltspolitische Debatten sind in Paris immer ideologisch geprägt.
Bedeutende Reserve
Die künftige Regierung muss aber vor allem das Vertrauen der Haushalte und Unternehmen wiederherstellen, damit sie mehr konsumieren und investieren. Gelingt das, sind die Voraussetzungen für einen Aufschwung gegeben. Die finanziellen Spielräumer würden wieder größer. Die vergleichsweise hohe Sparquote von 18,6% ist die Konsumreserve Frankreichs. Um sie anzuzapfen müssten alle Parteien aber über ihren Schatten springen. Ansonsten drohen Lecornu Neuwahlen – und die Konsumenten halten sich noch mehr zurück.