Im BlickfeldLuftfahrtindustrie

Airlines fehlt Schub der Triebwerksbauer

Die Hersteller von Flugzeugtriebwerken befinden sich in einem Liefer- und Qualitätsstress. Die Mängel dämpfen die Erholung der Luftfahrtgesellschaften nach der überwundenen Coronakrise.

Airlines fehlt Schub der Triebwerksbauer

Airlines fehlt Schub der Triebwerksbauer

Versorgungs- und Qualitätsmängel bei Triebwerken dämpfen die Erholung der Luftfahrtbranche nach der überwundenen Coronakrise

Von Stefan Kroneck, München

Pratt & Whitney (PW) hat diesen Sommer abermals negative Schlagzeilen produziert. Nach Berichten im Frühjahr über Engpässe bei der Lieferung von Ersatzteilen und Flugzeugmotoren sorgte der amerikanische Hersteller Ende Juli für Aufsehen, als er rund 1.200 Triebwerke zur Inspektion in die Werkstätten zurückrief. Der Grund: Ein in der Produktion verwendetes Metallpulver namens ME16 führte zu Rissen bei daraus gefertigten Scheiben für Hochdruckturbinen. Betroffen davon ist die Triebwerksbaureihe PW1100G-JM, die Airbus bei ihrem Verkaufsschlager, dem modernen Kurz- und Mittelstreckenflugzeug A320neo, einsetzt. Das Thema hat damit Breitenwirkung bei den Luftfahrtgesellschaften.

Hinzu kommt, dass es sich auf Seiten der Produzenten nicht nur auf PW beschränkt. Aufgrund der unter Triebwerksbauern üblichen Fertigungskonsortien ist davon auch MTU Aero Engines betroffen. Der Münchner Dax-Konzern ist an dem unter Führung von PW geleiteten Triebwerksprogramm mit 18% beteiligt. Entsprechend reagierten die Anleger besorgt. An jenem Tag, als die Nachricht sich verbreitete, ging die Aktie des börsennotierten PW-Mutterkonzerns Raytheon in New York 14% in den Keller. Das Papier von MTU büßte 7% ein, tags zuvor stand der Anteilschein bereits unter Abgabedruck. Von dem Rücksetzer hat sich der Titel bislang nicht erholen können.

Rückschlag für Cashflow

Denn Unsicherheit herrscht über die finanziellen Belastungen für PW und MTU. Das ist Gift für die Investoren. Klarheit soll nach Unternehmensangaben erst Mitte September bestehen. Raytheon senkte bereits ihre Prognose für den freien Cashflow. Der Mehraufwand infolge der zusätzlichen Inspektionen drückt ebenfalls den Mittelzufluss von MTU. „Während des Getriebefan-Inspektionsprogramms werden wir Gegenwind für unseren freien Cashflow spüren“, räumte MTU-Finanzvorstand Peter Kameritsch ein.

PW ordnete die Nachkontrollen an, um drohende Risse zu verhindern. Im Kern handelt es sich um einen Mangel in der Fertigung von PW aus der Vergangenheit. Im Herbst 2021 stellte der MTU-Partner die Produktion um. Nach Angaben von Airbus betrifft das das Pulvermetall, welches zwischen 2015 und 2021 hergestellt worden ist. MTU-Chef Lars Wagner rechnet damit, dass nur etwa 1% der zu inspizierenden Komponenten tatsächlich ausgetauscht werden müssten.

Das ist zwar ein sehr geringer Prozentsatz. Es ändert aber nichts an der Tatsache, dass diese Vorsorgemaßnahme vor allem dazu dient, die Flugsicherheit der betroffenen Maschinen zu gewährleisten. Darauf achten die zuständigen Luftfahrtaufsichtsbehörden. Das bedeutet, dass zunächst der Großteil der betroffenen Triebwerke nicht eingesetzt werden kann, solange das Problem nicht endgültig behoben ist. Letzteres dürfte Ende 2024/Anfang 2025 der Fall sein, so MTU-CEO Wagner.

"Angebotskrise"

Für die Luftfahrtgesellschaften ist das ein schwerer Schlag, werden ihnen doch damit Kapazitäten mitten in der wichtigen Sommer-Reisesaison entzogen. Das betrifft insbesondere das Kurz- und Mittelstreckennetz, welches sich von der Corona-Pandemie schneller erholt als Interkontinentalstrecken. Es dämpft die Wachstumsmöglichkeiten beim Hochfahren des Flugbetriebs.  Das dürfte auch im kommenden Jahr anhalten. Den Airlines, die auf breiter Front wieder Geld verdienen, entgehen damit zusätzliche Gewinne. Während der Seuche kam das Geschäft fast zum Erliegen. Die Flugzeugflotten wurden stillgelegt. Nun trifft eine sprunghaft steigende Nachfrage nach Reisen auf ein begrenztes Angebot. Das sorgt für steigende Preise bei den Flugtickets.

Die Engpässe bei der Versorgung mit Bauteilen und Materialien halten an. Das führt dazu, dass Airlines in diesem Segment nicht ihre gesamte Flotte einsetzen können. Ein Teil der Maschinen steht weiterhin auf dem Boden. Hinzu kommen enger getaktete Wartungsintervalle für Flugzeuge aufgrund der erhöhten technischen Komplexität moderner Triebwerke. Werden zusätzlich Mängel wie jüngst festgestellt, erhöht das den Druck auf die gesamte Branche.

Airbus-CEO Guillaume Faury ortete die Ursache vor allem bei den Triebwerksherstellern. „Wir sehen mehr Probleme bei den Triebwerken als je zuvor“, sagte der Franzose. Der europäische Boeing-Rivale musste bereits seine ehrgeizigen Fertigungsziele für die A320-Baureihe reduzieren. Olivier Andriès, Chef des französischen PW- und MTU-Wettbewerbers Safran, räumte ein, dass nach der Nachfragekrise 2020 eine nie zuvor dagewesene Angebotskrise die Erholung der Luftfahrtindustrie überschatte. Diese werde andauern. In der Coronakrise baute die Branche viele Arbeitsplätze ab. Nun haben viele Unternehmen Schwierigkeiten damit, die Lücken wieder zu füllen. Die Stimmung ist gereizt. Die pleitegegangene indische Billigfluggesellschaft Go First verklagte PW bereits auf Schadenersatz von fast 1 Mrd. Dollar. Die Inder machen die Amerikaner für ihre Misere mitverantwortlich. Rund die Hälfte der A320-Flotte von Go First war zuletzt nicht einsatzbereit.

Beim Thema A320neo liegen die Probleme weit zurück. Vor 13 Jahren hatte Airbus beschlossen, neue Triebwerke für die moderne Serie einzuführen. Die Triebwerke verbrauchen zwar 20% weniger Kerosin als ihre Vorgängermodelle, benötigen aber viel mehr Wartung, weil sie technisch anspruchsvoller sind. Neben CFM International, einem Gemeinschaftsunternehmen von Safran und General Electric, beauftragte Airbus seinerzeit PW mit einem alternativen Triebwerk, um den hohen Bedarf der Airlines an Jets dieses Typs abdecken zu können. Schon vor Ausbruch der Pandemie erwies sich die Lieferung der neuen Triebwerke als störanfällig, weil nach der Markteinführung wiederholt Nachbesserungen notwendig waren.

Druckmittel

Hinzu kommt, dass die modernen Getriebefans über Metalllegierungen und Beschichtungen verfügen, die den hohen Betriebstemperaturen standhalten, sich aber schnell abnutzen. Das sorgt für noch mehr regelmäßige Instandhaltungsarbeiten – mehr als ursprünglich erwartet. In einer angespannten Lage wie derzeit sorgt das für Stress in der Branche. Die Führung von PW versprach Besserung. Die Amerikaner können den Ärger bei den betroffenen Airlines durch überzeugendes Handeln ausräumen. Die Luftfahrtgesellschaften haben ein Druckmittel: Sie können damit drohen, zu CFM zu wechseln. Ein Blick in das Auftragsbuch von Airbus zeigt, welche Dimension dieses Thema hat. Mit rund 8.000 bestellten Maschinen, davon überwiegend der A320-Baureihe, ist der Konzern für Jahre ausgebucht.   

Ein Besucher der Farnborough International Airshow vor dem Modell eines Pratt-&-Whitney-GTF-Triebwerks.

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