KommentarScoring-Urteil

Maßvoll, maßlos, maßgeblich

Die Grundsätze für die Bonitätsbewertung sind nach dem EuGH-Urteil vage. Daher ist in Finanzbranche und Justiz Augenmaß gefragt.

Maßvoll, maßlos, maßgeblich

Schufa-Urteil

Maßvoll, maßlos, maßgeblich

Von Jan Schrader

Die Grundsätze für eine Bonitätsbewertung sind nach dem EuGH-Urteil vage. Daher ist in Finanzbranche und Justiz Augenmaß gefragt.

Also los, liebe Banken und Händler: Stellt sicher, dass ein mathematisch generierter Bonitätswert einer Auskunftei für eine Privatperson die Kreditentscheidung nicht "maßgeblich" beeinflusst. So will es der Europäische Gerichtshof. Übersetzungshilfe gefällig? Klar: Der Score darf nicht von "entscheidender Bedeutung" sein und nicht "in bedeutendem Maße" zum Einsatz kommen – so definiert der Duden "maßgeblich". Synonyme gibt es gratis dazu: "Ausschlaggebend", "bestimmend", "entscheidend", "gewichtig", "tonangebend". Aha.

Die Exegese des Luxemburger Urteils lässt Raum für Ermessen. Der Schufa-Score ist verbreitet und für Kreditentscheidungen aller Art ein wichtiges Kriterium. Wo die Grenze zur Maßgeblichkeit verläuft, wird oft nicht klar sein. Eine Bank, die ein Wohndarlehen vergibt, mag es hier noch einfach haben, weil sie ohnehin weitere Unterlagen wie Gehalts- und Vermögensnachweise heranzieht und ein Bonitätswert nur ein Merkmal unter vielen ist. Im Massengeschäft mit Konsumdarlehen oder für eine zugehörige Ratenfinanzierung im Handel ist schon eher Kreativität gefragt, um die automatisch generierte Bewertung einer Auskunftei rechtssicher in die Entscheidungsprozesse einzuflechten.

Immerhin, so die Interpretation der Schufa im Vorfeld des Urteils, können Banken und Unternehmen ein "Negativmerkmal", also zum Beispiel einen vermerkten Zahlungsausfall, zum Anlass für ihre Entscheidung nehmen, ohne sich dabei auf den Score berufen zu müssen. In den statistischen Wert fließen schließlich auch andere Daten ein, etwa die Zahl der Konten, die Kredithistorie oder Umzüge.

Urteile schaffen Unklarheit

Grundlegende Urteile mit Verwirrgarantie ist die Kreditwirtschaft leider gewohnt. Nach dem AGB-Urteil des Bundesgerichtshofs tobt ein Streit über die Verjährung von Ansprüchen, die sich aus einer Erhöhung der Kontogebühren ergeben. In Kürze spricht das Gericht in Karlsruhe ein weiteres Urteil dazu. Im Streit über die Zinsberechnung in uralten Prämiensparverträgen wiederum war umstritten, welche Zinsdaten geeignet sind. Erst nach und nach schufen Gerichtsurteile und Expertenempfehlungen hier Orientierungspunkte.

Auch diesmal bleibt zunächst nur Augenmaß, um die Praxis des Scorings zu bewerten. Das gilt übrigens auch für Gerichte, die sich fortan vermutlich mit diversen Anwendungsfällen auseinandersetzen müssen. Hoffentlich bringt die Rechtsprechung praxistaugliche Entscheidungen mit sich. Auch die Grenze zwischen "maßvoll" und "maßlos" ist übrigens fließend.

BZ+
Jetzt weiterlesen mit BZ+
4 Wochen für nur 1 € testen
Zugang zu allen Premium-Artikeln
Flexible Laufzeit, monatlich kündbar.