Notiert inLondon

Nichts als Ärger mit Lucy

Das von einem Polizeiauto gerammte Kalb Beau Lucy ist zur Berühmtheit geworden. Jetzt wird ermittelt, aber wie!

Nichts als Ärger mit Lucy

Notiert in London

Nicht als Ärger mit Lucy

Von Andreas Hippin

Beau Lucy hätte wohl nie erwartet, dass man sie eines Tages in ganz Europa kennt. Noch weniger hätte sie damit gerechnet, dass ihretwegen 2.000 Beschwerden bei der Polizei von Surrey eingehen und sich mehr als 20.000 Beiträge auf Online-Selbstentblößungsplattformen mit ihrem Fall beschäftigen. Es ist ein Fall, der große Empörung ausgelöst hat und mehr über das britische Wesen offenbart als viele Umfragen und Studien.

Beau Lucy ist ein zehn Monate altes Kalb, das seinen Besitzern Rob und Kate vor mehr als einem Monat spätnachts davonlief. DIe Polizei versuchte, das verängstigte Tier einzufangen, nachdem es in Staines-upon-Thames ein Fahrzeug beschädigt hatte und auf Menschen zugerannt war. Schließlich wussten die Beamten sich offenbar nicht anders zu helfen, als Beau Lucy mit ihrem Dienstwagen zu rammen. Seitdem erholt sie sich auf dem Hof von Rob und Kate von ein paar Blutergüssen. Damit könnte die Geschichte zu Ende sein, doch in einer Nation von Tierfreunden geht sie erst richtig los, als in den sozialen Medien Videos des Vorfalls kursieren.

„Grausam und barbarisch“

„Grausam und barbarisch“ sei das Vorgehen der Polizei gewesen, kritisierten die Besitzer des Kalbs. Ein Tier in diesem Alter kann für Menschen aber durchaus zur Bedrohung werden, wenn es aus irgendwelchen Gründen Amok läuft. In Großbritannien kommt es immer wieder zu tödlichen Begegnungen von Mensch und Kuh, in der Regel jedoch auf Weideflächen, die Wanderern offenstehen.

Die Surrey Police sah sich angesichts des öffentlichen Aufschreis gezwungen, eine umfassende Untersuchung einzuleiten. Über deren Verlauf informierte sie nun: Es wurden 75 Augenzeugen befragt, an 290 Türen entlang der von dem Tier eingeschlagenen Route geklopft und 210 Handzettel verteilt. Mehr als 250 Videoclips seien eingegangen. Der Fahrer des Einsatzwagens schiebt seit dem Vorfall Innendienst.

Grenzenlos tierlieb

Man werde weiter über den Stand der Ermittlungen informieren, versprach Deputy Chief Constable Nev Kemp. Dass sich die Polizei derart intensiv mit der Aufarbeitung der Jagd auf Beau Lucy beschäftigen muss, zeugt von der grenzenlosen Tierliebe der Briten. Sie erzeugt den politischen Druck, der wiederum dafür sorgt, dass sich die Ordnungshüter rechtfertigen müssen.

Es ist eine merkwürdige Naturwahrnehmung, die in Großbritannien kultiviert wird. Wilde Tiere werden rückhaltlos vermenschlicht. „Ein Tiger kommt zum Tee“ von Judith Kerr ist ein wunderschönes Kinderbuch, das einen ganz und gar unrealistischen Eindruck von einer solchen Raubkatze vermittelt. C.S. Lewis macht in „Die Chroniken von Narnia“ einen Löwen zum Erlöser. 

Tiger wollen keinen Tee

Da kann viel schiefgehen. Wenn es gut läuft, ist es nur ein Online-Shitstorm wie der, mit dem die Surrey Police schon irgendwie fertigwerden wird. Schlimmer ist, wenn Kinder den Arm in den Raubtierkäfig strecken und dabei feststellen, dass sich Tiger für ganz andere Dinge als Rosinenbrötchen interessieren.

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