KolumneEuropäische Börse

Merz legt Finger neben die Wunde

Bundeskanzler Merz plädiert für eine gemeinsame europäische Aktienbörse. Einheitliche Regeln für den Kapitalmarkt wären jedoch wichtiger. Die Politik hätte bessere Hebel, um den Kapitalmarkt zu beleben.

Merz legt Finger neben die Wunde

Merz legt Finger neben die Wunde

Von Sebastian Schmid

Europäische Börse

Bundeskanzler Friedrich Merz hat mit seinem Plädoyer für eine gemeinsame europäische Aktienbörse eine Debatte neu angefacht, die Euronext-CEO Stéphane Boujnah schon lange führen will. Während die Deutsche Börse ihre Expansionsstrategie auf angrenzende Dienstleistungen – etwa mit Zukauf des Stimmrechtsberaters ISS – ausgerichtet hat, haben sich die Franzosen ein hübsches Portfolio europäischer Börsenbetreiber zugelegt: Amsterdam, Brüssel, Dublin, Lissabon, Mailand, Oslo und Paris zählen bereits zu Euronext. Eine Offerte für die Börse in Athen läuft.

Wenn es also eine europäische Börse geben soll, wird es am ehesten Euronext sein. Die Franzosen würden auch von einer Vereinheitlichung der Regulierung am stärksten profitieren, da sie so noch einmal deutlich mehr Synergien heben könnten. Kein Wunder, dass Boujnah sich gleich freudig äußerte, Euronext sei bereit, „zur nächsten Ebene der europäischen Konsolidierung beizutragen." Bei der hiesigen Konkurrenz in Frankfurt und Stuttgart zeigte man sich gleich deutlich reservierter.

Einheitliche Regeln statt Börsenmonopol

Man muss auch nicht die deutsche Brille aufhaben, um zu erkennen, dass der Kanzler den Finger hier nicht in, sondern eher leicht neben die Wunde gelegt hat. Denn notwendig ist nicht wirklich ein großer Börsenbetreiber, der den europäischen Aktienhandel quasi monopolisiert. Vielmehr braucht es einheitliche Regeln und Vorgaben für den europäischen Kapitalmarkt. So unterscheiden sich Berichterstattungspflichten für börsennotierte Unternehmen auf dem alten Kontinent von Land zu Land. In den USA mag man sich über den Versuch der Politisierung der Börsenaufsicht SEC ärgern. Aber zumindest ist es eine einzige Behörde, die die Vorgaben macht. Der Wettbewerb der US-Börsenbetreiber wächst derweil sogar. Gerade erst hat die SEC der Texas Stock Exchange die Zulassung als Wertpapierbörse erteilt. Neben den Schwergewichten Nasdaq und New York Stock Exchange (Nyse) scheint also ausreichend Raum für einen weiteren Handelsplatz.

Im europäischen Kapitalmarkt braucht es primär eine Entfragmentierung bei Regulierung und Aufsicht. Wie viele Börsenbetreiber erforderlich sind, sollte der Markt bestimmen – nicht die Politik. Wenn Merz etwas für den Aktienmarkt tun will, hat er an anderer Stelle einen besseren Hebel. Die Ausweitung der kapitalgedeckten Altersvorsorge könnte gigantische Summen mobilisieren. IPO-König Schweden zeigt, welchen Unterschied das machen kann.