Verpasst Toyota die „Jahrhundert-Revolution”?
Verpasst Toyota die „Jahrhundertrevolution“?
Der Konzern muss beim Batterieauto dringend Anschluss an die Konkurrenz finden
Von Martin Fritz, Tokio
Die japanischen Autohersteller dominieren die Märkte in Indonesien, Thailand und im übrigen Südostasien. Ihre Stärke zeigte sich bislang darin, dass Toyota und Honda auf der Automesse in Bangkok die größten Stände aufbauten. Aber Ende März bei der diesjährigen Messe mietete BYD aus China die größte Fläche an. „Der Stand war rappelvoll, dagegen war bei den Japanern nichts los“, berichtete Autoanalyst Koji Endo von SBI Securities.
BYD und andere Hersteller aus China stellten in Bangkok zwei Dutzend neue Elektroautos (EVs) vor, Toyota nur zwei Modelle. Das erste, der bZ4X, musste nach dem Verkaufsstart im Vorjahr erst mal zurück in die Werkstätten. Vor der Messe legte BYD am Golf von Thailand noch den Grundstein für ihre erste EV-Fabrik außerhalb von China. Von dort will der chinesische EV-Spezialist Südostasien beliefern und die Platzhirsche aus Japan das Fürchten lehren. „Toyota und die Japaner müssen sich bewegen, bevor es zu spät ist“, warnte Endo.
Zwar sind Thailand und Indonesien für Toyota mit zusammen rund 600.000 verkauften Autos kein wichtiger Markt. Aber das Vordringen von BYD hat man wohl so wenig erwartet wie die starke Weltnachfrage nach EVs. Nun muss Toyota beim Batterieauto dringend Anschluss an die enteilte Konkurrenz finden. Pläne und Wirklichkeit klaffen weit auseinander. 2030 will Toyota 3,5 Mill. Batterieautos mit 30 Modellen verkaufen, das wären 30% des letzten Jahresabsatzes. Aber 2022 lieferte Toyota nur 24.000 EVs aus – dieser Anteil von 0,02% an der Jahresmenge ist Platz 27 in der EV-Weltliga. Zugleich stiegen die EV-Verkaufszahlen in den wichtigen Toyota-Märkten USA und China stark an, getrieben von Subventionen und staatlicher Regulierung. Dadurch sank Toyotas China-Absatz erstmals seit einem Jahrzehnt. In Kalifornien fiel der Branchenriese in einigen Segmenten hinter Tesla zurück.
Diese Entwicklungen haben Konzernchef Akio Toyoda gelehrt, dass seine Strategie zu Makulatur geworden ist. Er bevorzugte Modelle mit Hybridmotor und behandelte EVs stiefmütterlich. Schon die Abkürzungen verrieten seine Denkweise: Toyota unterscheidet nämlich Batterieautos (BEVs, gesprochen Befs) von den anderen Elektroantrieben Hybrid (HEV), Plugin (PHEV) und Brennstoffzelle (FCEV) „Reine EVs waren für Toyota eine Nischentechnologie, deswegen kam der hohe Absatz überraschend“, meint CLSA-Autoanalyst Christopher Richter. Aber es zeichnet sich ein Umdenken ab. Gründerenkel Toyoda nahm den Rückstand bei EV-Absatz und -Technik auf seine Kappe und gab die operative Führung an die nächste Generation ab. Seit dem 1. April sitzt der bisherige Lexus-Chef Koji Sato mit einem jüngeren Team am Steuer und treibt die Elektrifizierung voran. Bei seiner Vorstellung nahm Sato kein Blatt vor den Mund: „Wir müssen die Art und Weise, wie wir unser Geschäft betreiben, drastisch ändern, von der Herstellung bis hin zu Vertrieb und Service, mit einer auf BEVs zentrierten Denkweise“, erklärte der neue Konzernchef. Dafür will Sato die Struktur der Gruppe umbauen, Details stellt er am Freitag in Tokio vor. Der Neustart läuft auf eine separate EV-Sparte mit einer eigenen Plattform, angepassten Batterien und Software und eigene Fabriken hinaus. Lexus will ab 2035 nur noch EVs verkaufen und könnte daher den Kern dieser Sparte bilden. Sato zeichnete bereits für die Entwicklung des ersten EV-Modells von Lexus verantwortlich, das Ende März auf den Markt kam. Der SUV „RZ“ bereitete dem bisherigen Chef Toyoda, wie ein Werbevideo beweist, solchen Fahrspaß, dass die Wahl seines Nachfolgers davon beeinflusst gewesen sein könnte. Einerseits warnte Toyoda jahrelang vor den Folgen der „Jahrhundertrevolution“ in der Branche durch elektrische und autonome Autos. Toyota müsste ein Mobilitätsunternehmen werden. „Bei diesem Kampf geht es nicht um Gewinnen oder Verlieren, sondern um Leben und Sterben“, sagte er. In den USA arbeiteten Lobbyisten von Toyota andererseits im Kongress gegen eine schnelle Umstellung auf Batterieautos. Chefwissenschaftler Gill Pratt beschwor eine Verknappung von Lithium herauf und rechnete vor, dass viele Hybridautos klimatechnisch besser seien als wenige Batterieautos.
Arbeitsplätze in Gefahr
Einige Aktionäre wurden bereits unruhig: Institutionelle Anleger unter der Leitung des dänischen Pensionsfonds AkademikerPension versuchten auf der Hauptversammlung im Juni 2022 einen Antrag einzureichen, der eine Erklärung für das „anhaltend negative Klima-Lobbying“ verlangte. Aber Toyoda trat auch auf die Bremse, weil mehr EVs viele Arbeitsplätze in Japans größtem Industriesektor kosten werden. Aus dem gleichen Grund baut die japanische Regierung kaum Ladestationen und setzt sich für das Wasserstoffauto ein.
Doch Toyoda musste erkennen, dass die Regulierer den EV-Absatz bestimmen, nicht die Konsumenten. Die EU verbietet Verbrenner ab 2035, obwohl Hybridmotoren dort populär sind. Und der Inflation Reduction Act zwingt alle Autobauer zur EV-Wertschöpfung in den USA. In der Toyota-Fabrik in Kentucky sollen daher ab 2025 monatlich 10.000 EV-SUVs vom Band laufen, man strebt einen Elektroanteil von 20 % der eigenen Flotte an. Ein bisschen Extrazeit erhält Toyota für die Aufholjagd noch, weil der EV-Aufschwung neuerdings lahmt: Nach dem Wegfall vieler Subventionen brach der EV-Absatz in China ein. In Europa drückten die hohen Preise für Lithium und Strom die Verkaufszahlen.Die eigentliche Gefahr kommt aus China. Dort bietet Toyota derzeit 10 Hybrid- und 4 EV-Modelle an, jedoch immer mit einem chinesischen Partner. Das jüngste Batterieauto „bz3“ von Anfang März entsteht ausgerechnet in Kooperation mit dem EV-Weltmarktführer BYD. Der chinesische Autobauer, an dem der US-Investor Warren Buffett beteiligt ist, kam im Vorjahr mit einem Absatz von 1,86 Mill. Stück auf fast 30 % EV-Marktanteil in China und expandiert nun ins Ausland. Mit neuartigen Akkus versucht BYD die EV-Kosten auf ein Niveau zu senken, von dem Toyota weit entfernt ist.
Ein Preiskrieg setzt den Spätstarter aus Japan zusätzlich unter Druck. BYD und Tesla verdienen dabei immer noch Geld, aber für Toyota bleiben EVs wegen der niedrigen Stückzahlen noch längere Zeit ein Zusatzgeschäft. Zwar verlangen weder Aktionäre noch Analysten eine völlige Umstellung auf Batterieautos. „Hybridautos sind ein guter Hedge für das Auf und Ab im EV-Markt“, meint etwa CLSA-Experte Richter. „Aber irgendwann müssen die Emissionen mal auf null herunter.“ Doch vor 2026 kann Toyota nicht richtig kontern: Erst dann soll das „BEV der nächsten Generation“ fertig sein.
Der Lexus rz 450e ist das neueste Elektromodell von Toyota