Im BlickfeldAutonomes Fahren

Milliardenrennen um den Markt für autonomes Fahren

Neben Tech-Konzernen erkennen auch Autobauer das Robotaxi-Geschäft zunehmend als Tor zum Milliardenmarkt für autonomes Fahren. In den USA wächst die Zahl der Pilotprojekte im Segment, doch es lauern Hindernisse für den weiteren Fortschritt.

Milliardenrennen um den Markt für autonomes Fahren

Im Blickfeld

Milliardenrennen um den Robotaxi-Markt

Neben Tech-Konzernen erkennen auch Autobauer das Robotaxi-Geschäft zunehmend als Tor zum Milliardenmarkt für autonomes Fahren. In den USA wächst die Zahl der Pilotprojekte, doch es lauern Hindernisse für den weiteren Fortschritt.

Von Alex Wehnert, New York

Im texanischen Austin bringt Volkswagen ein ambitioniertes Zukunftsprojekt auf die Straße. Ab dem laufenden Monat sind in der Hauptstadt des Südstaats zehn Modelle des Elektro-Mikrobusses ID Buzz unterwegs – und zwar autonom. Mit dem Testprojekt wagen die Wolfsburger den Einstieg ins amerikanische Robotaxi-Geschäft. Ab 2026 sollen die selbständig fahrenden ID Buzz kommerziell betrieben werden.

Auch in Hamburg und München laufen Pilotprojekte des Konzerns. Global konkurrieren Anbieter wie VW und General Motors, die mit ihrer Tochter Cruise bereits autonome Modelle ohne menschlichen Sicherheitsfahrer auf die Straßen San Franciscos schickt, mit Technologiekonzernen wie Alphabet. Die Google-Mutter darf den Taxiservice ihrer Gesellschaft Waymo ebenfalls in San Francisco anbieten und will das Angebot in Kooperation mit dem Fahrdienst Uber im laufenden Jahr auf ein größeres Gebiet rund um Phoenix, Arizona, ausweiten. Die Amazon-Tochter Zoox testet ihr Robotaxi-Angebot seit Ende Juni in Las Vegas.

Während sich viele traditionelle Fahrzeughersteller in vorangegangenen Jahren vor allem darauf beschränkten, die Fahrassistenzsysteme ihrer Pkw für den privaten Einzelgebrauch zunehmend selbständiger zu machen, haben führende Autoadressen und ihre Tech-Gegenparts das Robotaxi-Geschäft nun also zunehmend als Tor zum Wachstumsmarkt für autonomes Fahren auserkoren. Es schlummern gewaltige Potenziale: Laut der Beratungsgesellschaft McKinsey könnte der Markt für autonome Fahrzeuge bis 2035 einen jährlichen Umsatz von 300 bis 400 Mrd. Dollar generieren, nachdem er im vergangenen Jahr noch bei rund 40 bis 50 Mrd. Dollar gelegen habe.

Einige Analysedienstleister gehen sogar von Marktvolumina im Billionenbereich aus. Bei solchen Prognosen müssen Investoren allerdings darauf achten, welche Anwendungen der Autonomie und welches Ausmaß an Selbständigkeit einbezogen sind. Generell klassifizieren Forscher das autonome Fahren in fünf Stufen: Level 1 beinhaltet Unterstützungssysteme wie Tempomaten, Level 2 eine partielle Automation, bei der das Auto in bestimmten Situationen selbst lenken, bremsen und beschleunigen kann.

Mensch seltener gefragt

Auf Level 3 kann das Fahrzeug ohne ständige menschliche Kontrolle auf veränderte Konditionen auf der Straße reagieren, der Fahrer muss aber nach einer bestimmten Zeit eingreifen können. Auf Level 4 soll das Auto fast vollständig allein fahren, der Mensch soll nur in Extremsituationen gefragt sein. Ob Level 5 – eine vollständige Automation – abgesehen von Anwendungen zum Warentransport jemals erreicht werden kann, ist unter Forschern umstritten.

McKinsey schließt in der Betrachtung autonome Fahrzeuge für den Passagierverkehr von Level 1 bis 4 ein. Der Löwenanteil des Marktes entfalle aktuell auf Anwendungen der Stufe 2, im Jahr 2025 werden diese laut Prognose der Beratungsgesellschaft für 60 bis 70 Mrd. Dollar der insgesamt 100 Mrd. Dollar an Erlösen im Segment verantwortlich sein.

Doch der Anteil von Level 3 werde mittelfristig schnell steigen. Komme diese Stufe in zwei Jahren voraussichtlich auf 4 bis 7% des Umsatzvolumens im Segment, sei bis 2030 mit einem Anstieg auf ein Drittel zu rechnen. Zugleich werde sich auch der Level-4-Anteil von null auf 10 bis 11% erhöhen. Fünf Jahre später werde die zweithöchste Automationsstufe mit 170 bis 230 Mrd. Dollar den Großteil der Erlöse erzeugen, Level 3 werde wohl 60 bis 75 Mrd. Dollar beisteuern.

Bei VW sind im Rahmen des Testprojekts in Austin – anders als bei der GM-Tochter Cruise in San Francisco – noch menschliche Sicherheitsfahrer an Bord. Im kommerziellen Betrieb sollen die ID Buzz dann selbständig unterwegs sein. Ihr Angebot wollen die Wolfsburger in bestehende Fahrdienstplattformen einbinden, statt unter höherem Kapitalaufwand einen eigenen Robotaxi-Service aufzubauen. Für den Konzern geht es vor allem darum, über die Erfahrungen aus seinen Pilotprogrammen möglichst schnell aufzuholen.

Das US-Testprojekt hält VW ausgerechnet vor der Haustür von E-Mobilitäts-Vorreiter Tesla ab, der selbst hochfliegende Ambitionen beim autonomen Fahren hegt. Das Unternehmen mit Sitz in Austin hat den Erfolg seines Autopiloten zum entscheidenden Wertschöpfungstreiber der Zukunft erklärt. CEO Elon Musk betonte bei der Vorlage der jüngsten Quartalszahlen mehrfach, dass die selbst fahrenden Systeme bis Ende des laufenden Jahres „besser als Menschen“ sein würden. Der E-Autobauer befinde sich zudem in frühen Gesprächen mit einem führenden Fahrzeughersteller, der an einer Lizenz für die vollständig autonome Technologie von Tesla interessiert sei.

Ärger um Assistenzsysteme

Allerdings muss sich das Musk-Unternehmen mit zahlreichen Gerichtsprozessen zu seinen Systemen herumschlagen. Der oberste US-Regulator der Autoindustrie warnte im Februar davor, der Tesla-Fahrassistent „Full Self Driving Beta“ könne „das Risiko eines Unfalls erhöhen, sofern der Fahrer nicht eingreift“. Der Hersteller sah sich darauf zu umfassenden Softwareupdates gezwungen. Zudem legte das „Handelsblatt“ im Mai Inhalte aus mutmaßlich internen Tesla-Dokumenten offen, die Tausende Kundenbeschwerden zu den Assistenzsystemen des Unternehmens beinhalten sollen.

Zuletzt musste sich der Elektro-Vorreiter bereits von Mercedes-Benz überholen lassen. Die Stuttgarter erhielten mit ihrem System „Drive Pilot“ im Juni als erster Autohersteller die behördliche Zulassung für autonomes Fahren des dritten Levels auf ausgewählten kalifornischen Autobahnen. Für Tesla gilt dies als schmerzhafte Niederlage, bildet der Westküstenstaat doch einen der wichtigsten Märkte des Musk-Unternehmens. Im vergangenen Jahr erzielte es dort laut Analysten 16% des globalen Absatzes.

Sicherheitsbedenken stellen indes für alle Anbieter noch Bremsklötze bei ihren Wachstumsbemühungen auf dem Feld des autonomen Fahrens dar. Im Robotaxi-Geschäft unterliegen die Routen und Angebotszeiten in vielen US-Städten beispielsweise noch strengen Beschränkungen. Die GM-Tochter Cruise ist mit ihren Fahrzeugen in San Francisco nur nachts unterwegs, die Alphabet-Tochter Waymo lediglich in bestimmten Vierteln.

Die für die Regulierung von Versorgern und Transport zuständige California Public Utilities Commission sollte Mitte Juli über eine Ausweitung des Angebots entscheiden, verschob die Abstimmung nach massivem Widerstand aber. Die Stadt San Francisco fürchtet, dass die Robo-Angebote in einen Preiswettbewerb zum öffentlichen Nahverkehr treten werden, Polizei und Feuerwehr klagen über Behinderungen durch die autonomen Fahrzeuge, und Bürger fühlen sich in ihrer Sicherheit gefährdet. Um diese Hindernisse zu überwinden, sind laut Analysten noch deutliche Entwicklungsfortschritte nötig. Hersteller, die schnell vorankommen, dürften sich demnach entscheidende Vorteile im Wettrennen um den Milliardenmarkt für autonomes Fahren sichern.