Notiert inFrankfurt

Mut zum Größenwahn

Mit seinen Gebäuden und Konzepten prägt das „Neue Frankfurt“ die Stadt seit 100 Jahren. Ein ähnlich konsequenter Gestaltungswille wäre in der stetig wachsenden Metropole auch heute nötig.

Mut zum Größenwahn

Notiert in Frankfurt

Mut zum Größenwahn

Von Lutz Knappmann

Wenige Orte in Frankfurt wirken so unscheinbar und zugleich kulturgeschichtlich so aufgeladen wie die kleine Kneipe namens „Zum Bunker“ im Stadtteil Heddernheim. Ihr Name bezieht sich auf den gegenüberliegenden und lange als Proberaum für Musiker genutzten Hochbunker. Einem betonmächtigen Zeugnis des Zweiten Weltkriegs und der späteren atomaren Bedrohung im Kalten Krieg. Ihr Standort in der Hadrianstraße gehört zur Frankfurter Römerstadt, einem Quartier, das auf dem Boden der einstmals wichtigsten römischen Siedlung in der Region, der Stadt „Nida“, gebaut worden ist. Und das Gebäude, in dessen Erdgeschoss die Kneipe residiert, zählt zu den markantesten Bauten des Stadtplanungsprogramms „Neues Frankfurt.“

Vor exakt 100 Jahren trat der damalige Oberbürgermeister Ludwig Landmann ein Bauprojekt los, das die Mainmetropole bis heute prägt. „Das Neue Frankfurt“ zählt zu den strategisch umfassendsten Stadtplanungsprogrammen, die es hierzulande jemals gab: Angesichts des grassierenden Wohnungsmangels in den 1920er Jahren ernannte Landmann 1925 den Architekten Ernst May zum Stadtbaurat. Der ließ binnen 5 Jahren nicht nur 12.000 neue Wohnungen errichten, sondern bettete diese Baumaßnahme in ein ganzheitliches Konzept ein, dessen Ziel nichts Geringeres war, als die Gesellschaft zu verbessern.

Neues-Frankfurt-Architektur prägt das Stadtbild

Neben mehr als einem Dutzend Wohnsiedlungen entstanden so zahlreiche öffentliche Bauten und Geschäftsgebäude in der Ästhetik der klassischen Moderne. Die Bewegung „Neues Frankfurt“ schuf zudem Sozialprogramme und bis heute einflussreiche Design-Konzepte, zu denen etwa die bekannte Schrifttype „Futura“ zählt.

Über ganz Frankfurt verteilt sind Architekturdenkmäler aus Landmanns und Mays Projekt zu besichtigen: Das IG-Farben-Haus, das heute Teil der Goethe-Universität ist, das Gesellschaftshaus im Palmengarten, heute ein beliebter Veranstaltungsort für Kongresse, die außergewöhnliche Frauenfriedenskirche. Ebenso die monumentale Großmarkthalle am Osthafen, die heute Teil der architekturpreisgekrönten EZB-Zentrale ist, und das längst zum „Deutsche Bank Park“ kommerzialisierte Waldstadion.

Großes Jubiläumsprogramm

Im Jubiläumsjahr widmet die Stadt gleich eine ganze Reihe von Ausstellungen und Veranstaltungen dem „Neuen Frankfurt“. „Ludwig Landmann hatte den Mut, groß zu denken“, lässt sich Oberbürgermeister Mike Josef (SPD) dazu zitieren. Das ist noch eine milde Untertreibung. „Groß zu denken“ ist schließlich auch heutigen Stadtplanern eigen: Mit Neubauprojekten wie dem Europaviertel unweit des Hauptbahnhofs oder einem künftigen „Stadtteil der Quartiere“ baut die Stadt dem stetig wachsenden Wohnraumbedarf hinterher. Nur leider allzu häufig mit einheitsbeiger Standardarchitektur und ohne ausgeprägten gesellschaftspolitischen Anspruch.

Dass direkt an die „Neues Frankfurt“-Ikone Römerstadt der in den 1960er Jahren ähnlich ganzheitlich geplante Stadtteil „Nordweststadt“ angrenzt, ist freilich eine eigene Geschichte.

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