Nachhaltigkeit unter Generalverdacht
ESG-Fonds
Nachhaltigkeit unter Generalverdacht
Die ESMA-Leitlinien schaffen Klarheit für nachhaltige Fondsnamen – doch wer daraus pauschale Greenwashing-Vorwürfe ableitet, verkennt die Komplexität der Regulierung.
Von Wolf Brandes
Mit dem Inkrafttreten der ESMA-Leitlinien für nachhaltige Fondsnamen ist ein neues Kapitel in der Regulierung nachhaltiger Geldanlagen aufgeschlagen. Erstmals gibt es konkrete, EU-weit gültige Vorgaben, wann ein Fonds Begriffe wie „nachhaltig“, „ESG“ oder „Klima“ im Namen tragen darf. Der Anspruch ist richtig: Wo Nachhaltigkeit draufsteht, soll auch Nachhaltigkeit drin sein. Doch die Reaktionen auf die Umbenennungen in der Fondsbranche zeigen: Nicht nur die Regulierung braucht Klarheit, sondern auch ihre öffentliche Begleitung.
Täuschung wird unterstellt
Denn es mehren sich mediale Stimmen, die aus der Welle an Namensänderungen pauschale Rückschlüsse auf vergangenes Greenwashing ziehen. Nach dem Motto: Wenn jetzt Begriffe gestrichen werden, war der Fonds vorher wohl irreführend etikettiert. Das unterstellt der Branche pauschal Täuschung, wo in vielen Fällen schlicht neue Regeln umgesetzt werden.
Ein Beispiel ist ein Beitrag von Correctiv und Finanztip, der aus dem Rückzug von ESG-Begriffen einen flächendeckenden Irreführungsverdacht ableitet – ohne den Kontext der neuen ESMA-Vorgaben und deren Auswirkungen auf bisher regulativ zulässige Strategien differenziert zu würdigen.
Neue Anforderungen gestellt
Was übersehen wird: Die ESMA-Leitlinien schaffen keine Bewertung der Vergangenheit, sondern definieren neue Anforderungen – mit Quoten, Ausschlüssen und Kriterien, die bisher so nicht verpflichtend waren. Sie schließen z. B. bestimmte fossile Energien oder kontroverse Waffen explizit aus, was viele etablierte nachhaltige Anlagestrategien bisher differenzierter gehandhabt haben – etwa durch Best-in-Class-Ansätze, SDG-Fokus oder soziale Wirkungsziele. Die ESMA dagegen priorisiert Klimaziele und gibt Ausschlusslisten und Mindestinvestitionsquoten vor, die nicht jede Strategie abbilden kann oder will.
Dass Fondsanbieter in diesem Umfeld ihre Namen anpassen, ist kein Eingeständnis früherer Täuschung, sondern Ausdruck regulatorischer Sorgfalt: Wer heute ESG im Titel führt, muss sich einer objektivierbaren Schwelle stellen. Viele Anbieter – gerade im ETF-Bereich – verzichten lieber auf ESG-Begriffe, als die gesamte Methodik oder Indexstrategie umzustellen. Andere wiederum schärfen ihre Portfolios nach, um den Begriff zu behalten. Beides ist legitim.
Reaktion auf neue Vorgaben
Die Umstellungen bei großen Fondsanbietern wie DWS, Deka, Union Investment und Allianz GI sind vor allem Reaktionen auf die neuen Vorgaben – nicht Eingeständnisse früherer Irreführung. Die DWS konnte den ESG-Begriff bei den meisten Fonds beibehalten, da bestehende Filter bereits viele Anforderungen erfüllten. Allianz GI nahm nur bei 2% der Fonds Namensänderungen vor, meist wurden die Anlagerichtlinien angepasst. Union Investment ersetzte „Nachhaltigkeit“ durch „ESG“ in 10 von 13 Fonds, wobei die Fondsstrategie weitgehend gleich blieb. Die Deka passte zahlreiche Namen an, beließ es aber inhaltlich bei bewährten Strategien. Diese Praxis zeigt: Die ESMA-Leitlinien definieren neue Mindeststandards für die Zukunft, nicht für die Vergangenheit. Wer sie rückwirkend als Maßstab verwendet, ignoriert die regulatorische Entwicklung und die differenzierten Anpassungen vieler Anbieter.
Ein Fonds ist nicht automatisch weniger nachhaltig, weil er sich neutraler benennt – und war es vorher nicht zwingend mehr, nur weil er ESG im Titel trug. Umso mehr braucht es jetzt differenzierte Analysen statt moralisierender Kurzschlüsse.
Vetrauen in die Branche wird geschwächt
Unbestritten: Greenwashing ist ein reales Risiko. Und Regulierung muss hier ansetzen. Aber wer in der Umstellung auf neue Namen reflexartig Täuschung wittert, tut weder der Sache noch den Anlegern einen Gefallen. Im Gegenteil: Es schwächt das Vertrauen in eine Branche, die in den vergangenen Jahren bereits erhebliche Anstrengungen unternommen hat, um Transparenz, Wirkung und Anlegerinformation zu verbessern.
Nachhaltigkeit verdient eine kritische Debatte. Aber sie verdient auch Differenzierung, Kontext und Fairness.