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Nasdaq in Stockholm lockt kleinere deutsche Firmen zum Börsengang an

Die Nasdaq in Stockholm lockt viele kleinere Firmen aus dem Ausland für eine Notierung an – darunter auch deutsche.

Nasdaq in Stockholm lockt kleinere deutsche Firmen zum Börsengang an

Nordisch
by Nature

Die Nasdaq in Stockholm lockt viele kleinere Firmen aus dem Ausland für eine Notierung an, darunter auch deutsche

Von Christoph Ruhkamp, Stockholm

Der Name „Bentley“ erinnert die meisten Leute vermutlich an den britischen Autohersteller aus dem VW-Konzern, der auch die Königsfamilie beliefert. Es gibt aber auch eine deutsche Medizintechnikfirma mit dem Namen Bentley Innomed. Das Unternehmen aus dem baden-württembergischen Hechingen im Zollernalbkreis stellt Produkte zur Behandlung von Gefäßerkrankungen her – vor allem Ballonkatheter, mit denen wichtige Adern offengehalten werden, die sonst zu verstopfen drohen.

Bentley wurde 2009 vom Medizinunternehmer Lars Sunnanväder, der ein Dutzend Firmen ins Leben gerufen hat, und seinem Partner Miko Obradovic gegründet. Das Unternehmen ist seit der Markteinführung des ersten Produkts im Jahr 2012 erheblich gewachsen und unterhält ein weltweites Vertriebsnetz in über 80 Ländern.

Jetzt geht die Firma an die Börse – aber nicht etwa, wie man erwarten könnte, in Frankfurt, sondern in Stockholm. Das hat weniger damit zu tun, dass Gründer Sunnanväder ein Schwede ist. Der 82 Jahre alte Tüftler, dessen Tochter im Aufsichtsrat von Bentley Innomed sitzt, lebt schon lange in Deutschland und fühlt sich hier dauerhaft wohl. Bentley-Innomed-Vorstandschef Sebastian Büchert nennt indes einen ganz anderen Grund für die Abwanderung beim IPO: „Hier in Stockholm finden kleinere Unternehmen viel mehr Beachtung. Es gibt eine rege Kleinanlegerszene, und die Aktien kleinerer Unternehmen werden viel mehr gehandelt“, fasst der Manager den Hauptbeweggrund zusammen.

IPO im schwedischen Winter

Den Börsengang in Stockholm plant Bentley Innomed für den kommenden Winter – „für den Winter in Schweden wohlgemerkt, und der kann lang sein“, betont Büchert, um klarzumachen, dass es keine dringende Eile gebe. Dennoch sind die Vorstellungen vom IPO, das von der schwedischen Investmentbank Carlsquare begleitet wird, schon erstaunlich klar: Die erwartete Marktkapitalisierung gibt CEO Büchert mit der Spanne zwischen 550 Mill. und 750 Mill. Euro an. Der Umsatz werde 2023 voraussichtlich bei 85 Mill. Euro liegen. Gut ein Drittel davon ist operativer Gewinn vor Zinsen, Steuern und Abschreibungen (Ebitda). Der Free Float soll bei 10 bis 15% des Börsenwerts liegen.

In der Branche, sagt Büchert, sei eine Bewertung mit dem 25-Fachen des Ebitda normal. Wichtigste Wettbewerber von Bentley Innomed sind Getinge aus Schweden sowie iVascular aus Spanien und die beiden US-Rivalen Gore und Bard. Emittiert werden beim IPO sowohl neue als auch bestehende Aktien von Bentley Innomed. Das Geld, das die Firma per Kapitalerhöhung einnimmt, soll für Akquisitionen sowie die Expansion in den USA und neue Produkte eingesetzt werden. Derzeit hält die Gründerfamilie Sunnanväder noch 70% der Anteile. Jeweils weitere 10% entfallen auf die Mitgründer und die Manager.

Mit einem Börsengang in Stockholm ist Bentley Innomed bei weitem kein Einzelfall. Von den rund 600 Unternehmen, die in Stockholm notieren, stammen rund 140 aus dem Ausland. Darunter wird Bentley Innomed auch nicht das erste sein. Der Spieleanbieter Media and Games Invest (MGI), der für seine Kunden gezielt Werbung in Videospielen platziert, und der Lastwagenhersteller Traton haben dort bereits ein Zweitlisting. Nasdaq-Nordic-Listing-Chefin Maria Groschopp Dellwik beschreibt, warum der Börsenplatz für kleinere deutsche Unternehmen aus ihrer Sicht attraktiv wäre: „Es gibt in Deutschland eine Lücke für kleinere Unternehmen, die frisches Eigenkapital brauchen. Das sieht man daran, dass deutsche Jungunternehmen länger der Börse fernbleiben, bevor sie ein IPO wagen. Wir rechnen damit, dass in Zukunft noch mehr deutsche Unternehmen in Stockholm gelistet werden“, gibt sich die Nasdaq-Managerin optimistisch.

Am Nasdaq First North – gleichsam dem „Neuen Markt“ an den von der US-Technologiebörse betriebenen skandinavischen Börsenplätzen in Schweden, Dänemark und Finnland – sind 535 Unternehmen gelistet. Das sind rund zehnmal so viele wie im Wachstumssegment „Scale“ der Deutschen Börse, wo nur 50 Firmen gelistet sind. An beiden Börsenplätzen gelten im Wachstumssegment vereinfachte Anforderungen, die von kleineren Unternehmen leichter zu erfüllen sind. Dennoch liegt die Nasdaq, die in Stockholm in einer ehemaligen Ford-Fabrik residiert, auf diesem Feld vorne. Dabei sind die Anforderungen in Stockholm an einer Steller sogar höher: Es braucht 25% Streubesitz. In Frankfurt dagegen genügen im Scale 20%. An der Nasdaq First North beträgt die durchschnittliche Marktkapitalisierung 62 Mill. Euro. Im deutschen Scale-Segment liegt sie bei 164 Mill. Euro. Laut Investmentbank Carlsquare beträgt die Mindestmarktkapitalisierung im Stockholmer Wachstumssegment 10 Mill. Euro. „Wer dagegen ins Frankfurter Scale-Segment will, muss 30 Mill. Euro auf die Waage bringen“, sagt Carlsquare-Banker Anders Egemyr.

Mehr kleine Listings

Für den Erfolg bei kleinen Listings gibt es zwei weitere Gründe: Da ist zum einen die Altersvorsorge in Schweden, die anders als im deutschen Umlagesystem kapitalgeckt ist. Fürs Alter angespart wird in Form einer Aktienrente. Ganz allgemein gehören Aktieninvestments zur Normalität in dem Land. Zum anderen zählt Schweden zu den Top 10 weltweit, wenn es um das Erschaffen von „Unicorns“ geht – jungen Unternehmen mit einer Bewertung von mehr als 1 Mrd. Euro.

2023 bringt es die Nasdaq Nordic schon auf acht Listings. In Deutschland kam nur die United-Internet-Tochter Ionos an die Börse – und floppte. 2021 zog die Nasdaq Nordic mit 65 Unternehmen 21% der Listings in Europa an. Allerdings sind die Debüts in Frankfurt schwergewichtiger: Das Porsche-IPO im Herbst 2022 war das weltweit zweitgrößte Debüt des Jahres.

In Stockholm residiert die US-Börse Nasdaq im Gebäude einer ehemaligen Ford-Fabrik. Dort wird die Glocke bei Erstnotierungen geläutet.

Maria Groschopp Dellwik ist an der Nasdaq in Stockholm verantwortlich für das Geschäft mit neuen Listings.