Im BlickfeldNachhaltigkeit

Neuer Nährboden für den Greenwashing-Streit bei Fonds

Die EU-Kommission konkretisiert ihre Vorgaben zu nachhaltigem Investieren. Neuer Greenwashing-Streit bei Investmentfonds ist damit programmiert.

Neuer Nährboden für den Greenwashing-Streit bei Fonds

Investmentfonds

Neuer Nährboden für Greenwashing-Streit

Vorgaben der EU-Kommission lassen Heraufstufungen von Fonds erwarten

Von Silke Stoltenberg, Frankfurt

Die EU-Behörden arbeiten peu à peu daran, die vagen Bestimmungen der Offenlegungsverordnung für eine nachhaltige Finanzbranche genauer auszuformulieren. Zuletzt veröffentlichte die EU-Kommission eine Fülle an Auslegungsvorschriften (Questions & Answers, Q&A) zu nachhaltigen Finanzprodukten, die entsprechende Nachfragen der EU-Finanzbehörden (European Supervisory Authorities, ESAs) beantworten sollen. Damit wird die offenkundige Schwäche der seit zwei Jahren geltenden Sustainable Finance Disclosure Regulation (SFDR), die Transparenz über verschiedene Kategorien an nachhaltigen Finanzprodukten schaffen will, ohne aber deren Inhalte festzulegen, ein weiteres Mal mit nachgeordneten Vorschriften ausgebügelt. Unter anderem ist zu erwarten, dass die Welle von Herabstufungen von Fonds, die seit vergangenem Herbst für weitere Greenwashing-Vorwürfe sorgte, durch eine Reklassifizierung wieder in die entgegengesetzte Richtung schwappen könnte.

Runter und wieder hoch

Darauf weisen sowohl der Fondsdatendienstleister Morningstar als auch die Beratungsgesellschaft EY hin. „In Reaktion auf die Klarstellung der EU-Kommission zu Produkten mit Paris-Aligned und Climate Transition Benchmarks sind Reklassifizierungen auf Artikel 9 zu erwarten“, sagt Carolin Wirth, Senior Consultant Wealth and Asset Management Consulting bei EY. Dies bezieht sich vor allem auf passiv gemanagte Indexfonds (Exchange Traded Funds, ETFs), die einen Großteil der Downgrade-Welle von Artikel-9- auf Artikel-8-Produkte ausgemacht hatten. Finanzprodukte nach Artikel 9 der SFDR sollen eine konkrete Wirkung bei der Nachhaltigkeit verfolgen. Artikel 8 dagegen schreibt nur die Berücksichtigung von Nachhaltigkeitskriterien bei Investitionen vor und gilt damit als weniger ambitioniert.

Laut Morningstar waren infolge von technischen Regulierungsvorschriften zur Offenlegungsverordnung mehr als 350 nachhaltige Fonds im Volumen von mehr als 200 Mrd. Euro von Artikel 9 auf Artikel 8 umgewidmet worden. Dies betraf gerade ETFs: 70% der Artikel-9-Produkte bei Indexfonds gingen diesen Weg. Mit der jüngsten Klarstellung der EU-Kommission zu Produkten, die mit einer passiven Anlagestrategie die Pariser Klimaziele beachten oder ein CO2-Reduktionsziel verfolgen, sei der Weg für die Anbieter frei, eine Wiederhochstufung der abgewerteten ETFs zu überprüfen, sagt Wirth.

Wie der deutsche Fondsverband BVI ergänzt, können auch aktiv verwaltete Fonds davon betroffen sein. Diese unterlägen den Q&A der EU-Kommission zufolge aber erhöhten Transparenzanforderungen im Hinblick darauf, wie sie das Ziel der Dekarbonisierung im Einklang mit dem Pariser Klimaschutzabkommen erreichen wollen. Unklar sei auch noch, räumen die Experten von EY ein, inwieweit die Aufsichtsbehörden die Reklassifizierungen genehmigen oder welche konkreten Vorgaben die nationalen Aufseher hierfür machen.

Missbrauchte Freiräume

Nichtsdestotrotz wirft dieses Hin und Her bei Fondsklassifizierungen gemäß der SFDR ein Schlaglicht auf die fehlenden konkreten Vorgaben und damit den Geburtsfehler der Offenlegungsverordnung. Dieser Freiraum wurde denn auch von dem ein oder anderen Anbieter missbraucht, um mehr Produkte nach außen hin als grün zu verkaufen, als sie von den Investitionen her gerechtfertigt wären. Seit sich die DWS als erste Fondsgesellschaft mit solchen Vorwürfen konfrontiert sah, monieren Verbraucherschützer und Finanzaktivisten auch bei vielen anderen Anbietern eine missbräuchliche Verwendung des Begriffs Nachhaltigkeit bei den Produkten – etwa, weil sich weiterhin Investitionen in fossile Energieträger in den Portfolios befinden.

Die Finanzbranche kontert die Vorwürfe mit Verweis auf Ausstiegspläne bei diesen Investments in einigen Jahren oder auf Schwellenwerte. Auch argumentiert sie, dass die Energiewirtschaft bei einer Transformation hin zu nachhaltigen Energieträgern Geld der Anleger brauche.

Nach unten hin offen

Der nun veröffentlichte Q&A-Katalog der EU-Kommission lässt bereits erahnen, dass diese Greenwashing-Diskussionen selbst nach den erneuten Klarstellungen zu vielen Punkten kein Ende finden werden. Denn die Institution bekräftigte nun, dass die SFDR keine Mindestanforderungen an die Kriterien der nachhaltigen Investitionen stellt. Wie der BVI betont, obliege es also dem Finanzmarktteilnehmer, entsprechende Konzepte zu entwickeln und offenzulegen, was eine nachhaltige Investition darstellt.

Und es geht noch weiter: Angesichts der vielfach noch fehlenden Daten zur Nachhaltigkeit der Unternehmen erlaubt das Q&A Schätzungen von Daten, die noch nicht vorliegen. Konkret geht es um die Frage der Taxonomie-Konformität der Fonds, also die Übereinstimmung mit dem grundlegenden EU-Katalog der als nachhaltig geltenden Wirtschaftsaktivitäten. Wie EY bei einem Webcast hierzu ausführte, können äquivalente Informationen und Schätzungen des Datenproviders behelfsweise genutzt werden, solange die Unternehmen mit Taxonomie-Berichtspflicht keine eigenen Angaben hierzu veröffentlichen. Bei Firmen, die keiner Berichtspflicht unterliegen, sind die Fondshäuser ohnehin auch künftig auf Schätzungen angewiesen.

Für wichtig hält EY in diesem Zusammenhang, dass die Fondsgesellschaften bei Schätzungen besonders auf die Datenqualität achten mit Blick etwa auf die Plausibilität. „Durch die Liberalisierung der Datennutzung werden vermehrt Produkte mit Taxonomie-Mindestquoten ausgewiesen werden“, betont Constantin Krause, Senior Manager Wealth and Asset Mangement Consulting bei EY. Tatsächlich hatten die deutschen Fondsanbieter mit der Einführung der Nachhaltigkeitspräferenzabfrage in der Finanzberatung im vergangenen August erst wenige Produkte mit Taxonomie-Konformität ins Schaufenster gestellt.

Noch ein dritter Aspekt des jüngst veröffentlichten Q&A-Katalogs der EU-Kommission wird die Greenwashing-Debatte weiter köcheln lassen. Denn den dortigen Angaben zufolge kann bei der Berechnung des Anteils von nachhaltigen Investitionen der sogenannte Unternehmensansatz gewählt werden: Wenn ein Unternehmen zum Beispiel die Hälfte seines Umsatzes mit nachhaltigen Geschäften macht, kann die Investition zu 100% angerechnet werden im Fondsportfolio. Die Assetmanager sind gehalten, ihre eigenen Schwellenwerte für diese Art der Berechnung festzulegen und die Methoden hierfür offenzulegen.

Im Gegensatz dazu gibt es den Aktivitätenansatz bei der Berechnung der nachhaltigen Investitionen, wonach nur der konkrete Umsatzanteil mit nachhaltigen Aktivitäten ins Fondsportfolio einberechnet wird. Dieser Ansatz wird zwar derzeit von den meisten deutschen Anbietern verfolgt. EY erwartet aber, dass die Quoten der nachhaltigen Investments in den Fondsportfolios hochgehen werden, da Anbieter ihre Berechnungsmethode auf den Unternehmensansatz umstellen könnten.

„Hochkomplexes Spannungsfeld“

Angesichts dieser Klarstellungen der EU-Kommission verwundert nicht, dass der Webcast von EY sehr ausführlich auf das Thema Vorbeugung von Greenwashing-Vorwürfen einging. Assetmanager befänden sich ein einem „hochkomplexen Spannungsfeld“, so Krause. Es gebe eine gestiegene Nachfrage der Kunden nach Finanzprodukten mit Nachhaltigkeitsmerkmalen, zugleich einen verstärkten Fokus der Verbraucherschützer auf Greenwashing-Vermeidung und dazu noch regulatorische Standards, die keine genauen Vorgaben machten und eigene Definitionen der Anbieter voraussetzten. Der EY-Experte rät daher dringend zu einem speziellen Greenwashing-Risikomanagement in allen Ebenen der Organisation, zu klaren Richtlinien und Messwerten, einer besonderen Überprüfung neuer Produkte und einer umfassenden Schulung aller betroffenen Mitarbeiter.

Die EU demonstriert derweil ihre Lust, mit weiteren Präzisierungen rund um die Offenlegungsverordnung nachzulegen. Denn Mitte April starteten die EU-Aufsichtsbehörden einen Konsultationsprozess mit dem Ziel, die erst seit Anfang 2023 in Kraft getretenen technischen Regulierungsstandards zu überarbeiten. Bis Ende Oktober soll es einen Entwurf geben, Anfang 2025 soll er in Kraft treten. Unter anderem sollen soziale Aspekte Einzug halten und die Transparenz für Verbraucher erhöht werden.

Investitionen in Solarparks gelten als nachhaltig. Ansonsten lässt die EU-Regulierung von Fonds aber vieles im Ungefähren, was den Streit um die grünen Investmentprodukte antreibt.

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