Japanische Aktien

Nikkei 40.000

Ohne tiefgreifende Reformen von Arbeitsmarkt und Bürokratie sind die hohen Kursgewinne letztlich auf Sand gebaut.

Nikkei 40.000

Japanische Aktien

Nikkei 40.000

Von Martin Fritz

Warren Buffett witterte als erster Großanleger, dass Japan sich klammheimlich zum neuen Eldorado für Aktienanleger entwickelt hatte. Schon vor über drei Jahren stieg das Orakel von Omaha bei fünf Old-Economy-Unternehmen ein. Damals schüttelten viele Investoren noch ungläubig die Köpfe. Aber Buffett bewies den richtigen Riecher, nun springt alle Welt auf diesen Zug auf. Der Nikkei 225 erlebte mit fast 30% das stärkste Plus seit 14 Jahren.

In der Vergangenheit erwiesen sich solche Rallys als kurzlebig. Bei den ersten Krisenzeichen zogen die Ausländer ihr Kapital ab, der Markt brach ein. Diesmal könnten die Kurszuwächse dauerhafter sein. Seit zehn Jahren ermutigen Regierung und Börse Firmen und institutionelle Anleger, stärker auf höhere Kapitalrenditen zu achten. In der Folge zogen nicht nur die Gewinne kräftig an. Die Unternehmen schütten über Dividenden und Aktienrückkäufe auch so viel aus wie nie zuvor, bauen Überkreuzbeteiligungen ab und berufen mehr weibliche und unabhängige Direktoren. Der Staat fördert den privaten Aktienerwerb mit steuerbegünstigten Anlagekonten für bis zu 50.000 Euro über 20 Jahre. Die positiven Aussichten für Aktien rechtfertigen die Hoffnung, dass der Nikkei 225 in den nächsten Jahren auf 40.000 klettern und neue Bestmarken über dem gültigen Höchststand von Ende 1989 setzen kann.

Die Investoren zieht es diesmal aber auch ins Börsenviertel Kabutocho, weil Japan sich positiv von den westlichen Volkswirtschaften abhebt. Die US-Wirtschaft leidet unter der schlimmsten Inflation seit Jahrzehnten. Europa droht das Abgleiten in die Stagflation, der Exportmotor von Deutschland tuckert kraftlos vor sich hin. Auch China kommt nicht auf Touren. Doch in Japan kostet Geld immer noch nichts, die Wirtschaft wächst dank Privatkonsum und Firmeninvestitionen stärker als üblich. Die milde Deflation der letzten Jahrzehnte ist verflogen, Preise und Löhne steigen erstmals seit den 1990er Jahren kräftig an. Der Umbau der Lieferketten etwa im Halbleiterbereich stärkt die einheimische Industrie. Wegen der Spannungen um Taiwan gehen China-Investoren, die ihr Asien-Engagement fortsetzen wollen, nun nach Japan, berichtet Blackrock-CEO Larry Fink.

Vor irrationalem Übermut sei jedoch gewarnt. Im fernöstlichen Eldorado ist nicht alles Gold, was glänzt. Viele Anleger mieden japanische Aktien lange Zeit aus makroökonomischen Gründen: Die Bevölkerung altert und schrumpft und die staatlichen Schulden wachsen in immer neue Rekordhöhen. Diese negativen Trends bremsten die Wirtschaft bisher weniger als befürchtet, weil mehr Frauen und Rentner erwerbstätig wurden, die Bank of Japan über die Hälfte der Staatsanleihen aufkaufte und die positive Leistungsbilanz die einheimische Finanzierung neuer Schulden stützte.

Aber nun sind die Menetekel nicht mehr zu übersehen: Fast 30% der Bevölkerung sind über 65 Jahre alt, die Zahl der Japaner schrumpfte 2022 um netto 731.000, die Größe von Frankfurt. Es mangelt an Fachkräften von der Pflege bis zum IT-Sektor, die Firmen melden weniger Patente an. Der Siegeszug des Elektroautos bedroht die Fahrzeugindustrie und damit das Rückgrat der Wirtschaft. Das deutlichste Warnsignal ist der Verfall der Währung. Der „reale“ Yen, der die tatsächliche Kaufkraft beschreibt, steht auf dem Stand von Anfang der 1970er Jahre. Die Abwertung spiegelt Japans gesunkene globale Wettbewerbsfähigkeit wider, viele Japaner fühlen sich nicht mehr reich. Und viele Auslandsanleger finanzieren ihre Aktienkäufe auch noch mit Krediten in Yen, was die Währung weiter schwächt.

Wenig Anlass für Optimismus liefert auch die Regierung von Fumio Kishida. Seine Ankündigung eines „neuen Kapitalismus“ mit einer gerechteren Verteilung von Reichtum blieb ein Schlagwort. Auf seine Versprechen, die Bürokratie abzubauen, die Arbeitsmärkte zu lockern, Innovationen wiederzubeleben und die Beteiligung der Frauen zu stärken, folgten keine Taten. Wie seine Vorgänger Abe und Suga sieht Kishida keine Notwendigkeit, tiefgreifende Strukturreformen anzupacken. Solange der Politik diese Einsicht fehlt, sind die Gewinne von Nikkei und Topix letztlich auf Sand gebaut.

Ohne tiefgreifende Reformen von Arbeitsmarkt und Bürokratie sind die hohen Kursgewinne letztlich auf Sand gebaut.

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