Peking löst die Handbremse
Chinas Börsenrally
Peking löst die Handbremse
Chinas Stimulus- Offensive führt zum Kavaliersstart an der Börse. Es müssen aber noch mehr PS auf die Straße gebracht werden.
Von Norbert Hellmann
Plötzlich läuft es wie geschmiert. Der Pekinger Machtapparat hat mit sorgfältig choreografierten Verkündungen monetärer und fiskalischer Stimuli eine monumentale Rally am Aktienmarkt losgetreten. Die Zentralbank ist mit Zinssenkungsmaßnahmen, Mindestreservelockerung und speziellen Kreditlinien für Aktienkäufe seitens Institutioneller in den Lead gegangen. Das Politbüro hat mit Signalen zur Stützung des Immobilienmarkts und Anregung der Konsumausgaben nachgelegt.
Historische Rally
Das Ensemble reicht vorerst, um die Anleger in eine lange nicht mehr dagewesene Euphorie zu versetzen. Binnen einer Handelswoche schoss der Leitindex CSI 300 um 16% empor. Eine so gewaltige kurzfristige Rally gab es seit der globalen Finanzkrise nicht mehr, als China ein riesiges Stimulus-Paket vom Stapel ließ. Es entfachte einen neuen Wirtschaftsboom, allerdings mit zahlreichen unerwünschten Nebenwirkungen, darunter eine spekulative Immobilienpreisblase.
Wirtschaftspessimismus grassiert
Diesmal sind die Verhältnisse völlig anders. Peking wünscht sich sehnlichst, dass ein wenig spekulativer Eifer den Abwärtstrend der Wohnungspreise durchbricht. Die Krise am Immobilienmarkt ist ein wesentlicher Faktor für den grassierenden Wirtschaftspessimismus. Der Quasi-Automatismus der Wohlstandsmehrung durch Immobilienbesitz funktioniert nicht mehr. Daran knüpfen sich Entscheidungen der privaten Haushalte zu Sparfleiß, Verschuldungsabbau und Konsumverzicht, die auf gesamtwirtschaftlicher Ebene die Binnennachfrage lähmen. Aus dieser Problematik wird man, Börseneuphorie hin oder her, nicht so schnell herauskommen.
Das Politbüro verspricht Maßnahmen zum Abbau des gewaltigen Überhangs an unverkauften Wohnungen, darunter eine Begrenzung von neuen Projekten und Verbesserungen beim staatlichen Erwerbsprogramm für leer stehende Wohnanlagen. Das ist ein guter Ansatz, der allerdings keine raschen Effekte erzielen wird. Die monetären Lockerungsmaßnahmen der Zentralbank sind begrüßenswert und sinnvoll, erscheinen aber vor allem deshalb wuchtig, weil sie auf einen Schlag verkündet wurden und im Abgleich mit einer sehr langen Phase aufreizender Zurückhaltung stehen.
Begrenzter Spielraum
Die Zinssenkungsschritte sind nicht gewaltig, und ihre Transmission hinsichtlich der realwirtschaftlichen Kreditnachfrage ist eher unsicher. Der darüber hinausgehende Lockerungsspielraum ist eher gering. Dies allein schon, weil die Banken angesichts hauchdünner Zinsmargen bei der Senkung von Benchmark-Zinsen für Unternehmens- und Hypothekenkredite an Grenzen stoßen. Was schließlich effektive Maßnahmen zur Konsumanregung und fiskalische Stimuli angeht, die bei breiten Schichten im Portemonnaie landen, steht man erst ganz am Anfang.
Nationaltag im Vordergrund
In Peking wird man äußerst zufrieden sein, dass die konzertierte Aktion vom Finanzmarkt geadelt worden ist. Man glaubt fest daran, dass sich eine marktpsychologische Wende im seit langem baissierenden Aktienmarkt nachhaltig auf das breitere Wirtschaftsvertrauen auswirkt. Damit erreicht die Partei ein alles überragendes Kurzfristziel. Der anstehende Nationaltag am 1. Oktober, mit dem die Volksrepublik ihr 75-jähriges Bestehen feiert, darf in Hochstimmung begangen werden. Das soll auch für die nachgelagerte „Goldene Ferienwoche“ als Saisonhöhepunkt für Konsumaktivität gelten.
Fomo – und was dann?
Für die Aktienanleger gilt zunächst, was man in Internetsprache als Fomo, Fear of missing out, bezeichnet. Nach all den Enttäuschungen gilt es jetzt nicht lange nachzudenken, sondern zeitig auf die Rally aufzuspringen. Nach der Oktobersause wird es schwieriger. Rasche Gewinnmitnahmen und erneute Katerstimmung an der Börse darf man ausschließen, zumal einschlägige Konjunkturindikatoren zunächst weiter abwärts zeigen dürften. Das Spielchen mit Jubel nach Stimuli-Versprechen und dann erneutem Abzug der Anleger hat man jetzt schon oft gesehen. Ein prägnantes Déjà-vu ist die gewaltige staatliche Stützungsaktion für die Börse von Ende Januar. Auch sie kam exakt eine Woche vor einem feierlichen Saisonhöhepunkt, nämlich Chinas Neujahrsfest.