Leitartikel Chinas Immobilienkrise

Peking macht den Goldesel gefügig

Chinas Umgang mit der Immobilienkrise tritt in eine neue Phase. Nun werden die Banken ohne Rücksicht auf heikle Risiken aufgefordert, überschuldeten Bauträgern flexiblen Beistand zu leisten.

Peking macht den Goldesel gefügig

Immobilienkrise

Peking macht den Goldesel gefügig

Chinas Umgang mit der Immobilienkrise tritt in eine neue Phase. Nun sind die Banken ohne Rücksicht auf heikle Risiken gefordert.

Von Norbert Hellmann

In China ertönen forsche Ermunterungen an die überwiegend staatskontrollierte Finanzbranche, den von einer monumentalen Verschuldungskrise erfassten Immobilienfirmen stärker unter die Arme zu greifen. Hellhörig machen Äußerungen von Vertretern des Ständigen Ausschusses des Volkskongresses, die über verstopfte oder ineffiziente Finanzierungskanäle lamentieren. Sie betonen, dass es einigen Spielraum dafür gibt, Profite von der Finanzindustrie auf die realwirtschaftliche Ebene zu transferieren.

Zu dem Statement gehört ein besonders interessanter Satz, demzufolge sich der gesamtwirtschaftliche Anteil der Finanzsektorgewinne ruhig ein wenig nach unten bewegen könne, zumal er höher als im Durchschnitt der OECD-Nationen liege. Man kann die Beobachtung, dass Chinas Finanzsektor sogar besser genährt ist als in der kapitalistischen Bastion der OECD-Länder, als Hinweis verstehen, dass hier ein Goldesel mit bestem parteiideologischem Gewissen etwas mehr gemolken werden soll.

Peking hat sich über zwei Jahre hinweg geradezu aufreizend zurückgehalten, die Bewältigung der Liquiditätskrise privater Immobilienentwickler explizit als staatliche Aufgabe anzusehen. Nun scheint sich ein diskreter Sinneswandel breitzumachen. Zum einen, weil man mit dem ewigen Zweckoptimismus zu konjunkturellen Selbsterholungskräften nach Aufgabe der Null-Covid-Politik nicht mehr weiterkommt. Sie reichen bei weitem nicht aus, um das von abbröckelnden Wohnungsverkäufen und Anlageinvestitionen gekennzeichnete Immobilienmarktgeschehen über eine Anregung der Nachfrage zu stabilisieren.

Es muss also etwas auf der Angebotsseite passieren, um das Sentiment zu stärken. Das bedeutet in erster Linie die Gewissheit, dass selbst die am stärksten überstrapazierten Bauträger genügend Mittel erhalten, um Millionen von Apartments in bereits vorverkauften Wohnimmobilienprojekten auch tatsächlich fertigstellen können. Dafür müssen neue Finanzierungsmittel lockergemacht werden. Allem Anschein nach arbeiten Chinas Finanzregulatoren an einer noch nicht publik gemachten „Weißen Liste“, auf der ein paar Dutzend unterstützungswürdige Bauträger – darunter auch der Mega-Problemfall Country Garden – landen sollen. Denen sollen staatliche Finanzinstitute mit explizitem Segen Pekings frische Mittel zukommen lassen.

Unbesicherte Darlehen für Sorgenkinder

Dem Vernehmen nach soll es Banken gar gestattet werden, Problemkinder mit kurzfristigen ungesicherten Darlehen zu versorgen, um den Cash Crunch zu lindern. Solche Manöver, wie eine leichtfüßige Working-Capital-Finanzierung für ultrariskante Kreditnehmer, würden freilich einen erheblichen finanzregulatorischen Flexibilitätsruck erfordern. Man müsste Banker gewissermaßen kategorisch von ihrer Sorgfaltspflicht im Umgang mit Bonitätsrisiken bei der Kreditautorisierung entbinden. Auch in anderer Hinsicht haben sich Stabilitätshüter bereits einen Ruck gegeben. So will die Finanzaufsichtsbehörde NAFR für eine Übergangszeit die Risikogewichte von Hypothekenkrediten bei der Berechnung von Eigenkapitalanforderungen reduzieren. Das ist eine unmissverständliche regulatorische Belohnung für angekurbeltes Realkreditgeschäft.  

Es ist schwer, ein Urteil darüber zu fällen, ob Unterstützungsaktionen für Bauträger durch Anordnung einer laxeren Kreditvergabepolitik Finanzstabilitätsgefahren eher anheizen oder eher lindern. Langfristig gesehen gilt sicherlich eher Ersteres. In der kurzfristigeren Perspektive droht Chinas Finanzsystem sicherlich mehr Unheil, wenn es zu einem Massensterben von großen Bauträgern kommt oder die Angst vor einem solchen das Immobilienmarktgeschehen immer weiter lähmt.

Festzuhalten bleibt vorerst nur, dass Chinas Staatsführung bei der Wahl zwischen verschiedenen Übeln in eine neue Richtung tendiert. Bislang nahm man das Wackeln der Bauträger in Kauf, solange besonders gewinnstarke Großbanken dem Finanzsektor eine ungebrochene Stabilitätsaura verliehen. Jetzt sollen Ergebnis- und Risikoqualität der Banken ruhig ein bisschen wackeln dürfen, um den Bauträgern ein Minimum an Stabilität zu gönnen.

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