KommentarWahlen in Katalonien

Pragmatismus statt Nationalismus

Eine klare Mehrheit der Wähler in Katalonien will keine Unabhängigkeit, sondern eine Regierung, die den wirtschaftlichen Abstieg der Region stoppt.

Pragmatismus statt Nationalismus

Wahlen in Katalonien

Nationalismus hat ausgedient

Von Thilo Schäfer

Eine klare Mehrheit will keine Unabhängigkeit, sondern eine Regierung, die den wirtschaftlichen Abstieg stoppt.

Es war Zufall, dass das überraschende Übernahmeangebot der spanischen Großbank BBVA für den heimischen Mitbewerber Banco Sabadell mitten in den Wahlkampf in Katalonien platzte. Die feindliche Offerte war sicherlich nicht ausschlaggebend für die Niederlage der separatistischen Parteien, die am Sonntag erstmals seit 2012 keine Mehrheit mehr erreichten. Aber die Sorge, dass mit der katalanischen Traditionsbank Sabadell ein Entscheidungszentrum abwandern könnte, passt ins Bild. Nach dem illegalen Unabhängigkeitsreferendum 2017 verlegten Hunderte katalanische Unternehmen ihren Stammsitz in andere Regionen Spaniens, darunter auch Caixabank, vor Sabadell das größte Kreditinstitut Kataloniens. Über die Drohung der Separatisten, die Firmen notfalls mit Strafen zur Rückkehr zu bewegen, kann man in den Vorstandetagen nur müde lächeln. Der Abstieg des früheren wirtschaftlichen Powerhouse gegenüber Madrid in den letzten Jahren ist unbestritten, auch wenn die Metropole Barcelona nach wie vor Investoren und Besucher anzieht.

In Großbritannien zweifeln heute nur noch die Hardliner daran, dass der Brexit dem Wirtschaftsstandort geschadet hat. In Katalonien quittierte die Mehrheit der Wähler nun, dass die Abspaltung von Spanien keine Priorität mehr sein sollte. Seit dem Referendum 2017 hat sich vieles verändert, durch Pandemie, Kriege, Preisexplosion und die extreme Dürre, die Katalonien plagt. Die Separatisten haben in den letzten Jahren schlicht und einfach schlecht regiert und den Eindruck erweckt, über das große Ziel der Unabhängigkeit die zunehmenden Alltagsprobleme der Menschen zu übersehen. Dieser neue Pragmatismus der Wähler und Wählerinnen machte die Sozialisten von Spaniens Ministerpräsident Pedro Sánchez zur stärksten Kraft in Katalonien, obwohl eine Regierungsbildung alles andere als einfach wird. Der katalanische Unternehmerverband Foment de Treball forderte von den Politikern daher ebenfalls Pragmatismus, statt sich in „überholten Debatten“, wie ein neues Referendum, zu verzetteln.
Die Briten können die Folgen ihres nationalistischen Alleingangs nicht mehr rückgängig machen. Die Katalanen haben jetzt die Reißleine gezogen und klargemacht, dass sie statt einer eigenen Republik lieber eine vernünftige Regierung wollen, die vom Konfrontationskurs gegenüber Madrid ablässt. In Katalonien bekam der Nationalismus am Sonntag an den Urnen einen Denkzettel verpasst. Es wäre zu schön, wenn man vor den Wahlen zum Europaparlament im Juni auch anderswo davon Kenntnis nehmen würde.

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