Rapport im 7 Avenue Express
Notiert in New York
Rapport im 7 Avenue Express
Von Alex Wehnert
Die übergewichtige Frau nähert sich verblüffend schnell. Ihr unsteter Blick und ihre Erscheinung samt ungewaschener Locken, die unter ihrem Haarnetz hervorquellen wie die Speckschwarten unter ihrem löchrigen rot-weißen Nachthemd, würden schon ausreichen, um ihre Mitpassagiere in Anspannung zu versetzen – doch da ist noch das Gekreische, mit dem sie den Wagen der Linie C der New Yorker U-Bahn zwischen der Spring Street im südlichen Manhattan und der Upper West Side überzieht. Aus der mit wüsten Beschimpfungen gespickten Kakofonie vermag der geübte Fahrgast der Metropolitan Transport Authority (MTA) eine Quintessenz herauszulesen, die sich frei nach Liedermacher Rainhard Fendrich so übersetzen lässt: „Heraus mit Dollar, sonst krieg’ ich einen Koller!“
Wer sich am anderen Ende des Wagens befindet, wiegt sich zunächst in Sicherheit – rechnet dabei aber weder mit der atemberaubenden Agilität, mit der sich die offenbar unter Entzugserscheinungen leidende Dame durch den Gang wuchtet, noch mit dem durch seine nicht minder atemberaubenden Körperausdünstungen auffallenden Herrn, der bei voller Fahrt über die Kupplung aus dem nächsten Wagen herüberflaniert kommt. Zwischen diesen modernen Ausprägungen von Skylla und Charybdis harren die dem Drogenmilieu fernstehenden Mitreisenden wie auf heißen Kohlen auf den nächsten Halt, an dem sie eilends aus dem Zugabschnitt hechten.
Zunehmende Aggression
Sicher: Wer in Metropolen wie New York im öffentlichen Personennahverkehr unterwegs ist, war fast immer schon mit Verrückten, Junkies und Kriminellen konfrontiert. Doch die Gefahren bei diesen Begegnungen, so verspüren es viele Fahrgäste, haben beträchtlich zugenommen. Allein im laufenden Jahr wurden bereits Schaffner in Brooklyn niedergestochen, Fahrgäste in Queens und Manhattan mit Hämmern und Teppichmessern angegriffen und selbst in Stationen spielende Musiker attackiert. An der Mount Eden Avenue Station in der Bronx starb bei einer Schießerei im Februar ein Mensch.
Die demokratische New Yorker Gouverneurin Kathy Hochul hat deshalb überraschend die Nationalgarde eingeschaltet. Für rund 750 Soldaten der Miliz und 250 ihrer Kollegen von der New York State Police heißt es nun „Rapport im 7 Avenue Express“ und anderen hoch frequentierten Linien. Die Einsatzkräfte sollen Patrouille gehen und regelmäßig Taschen kontrollieren.
Bürgerrechtler protestieren
Während einige Fahrgäste und MTA-Mitarbeiter die Präsenz der Nationalgarde als richtigen Schritt in Richtung höherer Sicherheit befürworten, gehen Bürgerrechtler auf die Barrikaden. Sie fürchten einen Rückfall in Zeiten, in denen das New York City Police Department unter den Bürgermeistern Rudy Giuliani und Michael Bloomberg Millionen illegaler Kontrollen vornahm und vor allem unschuldige junge schwarze Männer und Latinos anhielt. In einem Land, das vor der Präsidentschaftswahl im November stark gespalten ist, droht sich in der New Yorker U-Bahn der nächste große Konflikt zu entzünden.