LeitartikelEuro

Renaissance des Bargelds

Es ist eine haltlose Unterstellung, dass EZB und EU-Kommission Scheine und Münzen abschaffen sollen. Das Gegenteil trifft zu – und das ist sinnvoll.

Renaissance des Bargelds

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Renaissance des Bargelds

Es ist eine haltlose Unterstellung, dass Scheine und Münzen weichen sollen. Das Gegenteil trifft zu – und das ist sinnvoll.

Von Stefan Reccius

Haben es die Euro-Technokraten der Europäischen Zentralbank und die Brüsseler Gesetzgeber auf unser Bargeld abgesehen? Um das Projekt des digitalen Euro ranken sich Spekulationen über eine Abkehr von Scheinen und Münzen. Das ist Unsinn. Beim Abgleich mit der Realität wird klar, dass es sich um ein Missverständnis oder gar dreiste Unterstellungen handelt. Auf eine versteckte Agenda zur Abschaffung des Bargelds gibt es nicht den geringsten Hinweis.

Tatsächlich trifft das Gegenteil zu: Der EU-Kommission schwebt nicht weniger als eine Renaissance des Bargelds vor. Die Zahl der Geldautomaten sinkt rapide. Immer mehr Händler verweigern Barzahlungen. In Brüssel will man das aus guten Gründen nicht hinnehmen – mit einer paradox anmutenden Folge: Das Monopol der Banken als Mittler zwischen Zentralbank und Bürger erodiert.

Um keine Missverständnisse aufkommen zu lassen: Bargeldloses Bezahlen mit dem Handy und Sofortüberweisungen in Sekundenschnelle, wie sie in der EU Standard werden sollen, sind ein großer Fortschritt. Den sollte bitte niemand aufhalten. Aber Scheine und Münzen haben wertvolle Merkmale, die sich nicht eins zu eins auf Digitalwährungen übertragen lassen.

Dafür muss man nicht mal die Binse vom Bargeld als geprägte Freiheit bemühen, die so abgegriffen ist wie Überbleibsel aus D-Mark-Zeiten. Das offensichtlichste Unterscheidungsmerkmal ist die Haptik: Scheine und Münzen lassen sich fühlen, hören, riechen. Das klingt trivialer, als es ist: Wer ins Portemonnaie greift, befasst sich jedes Mal unterbewusst mit der Europäischen Währungsunion. Dadurch identifizieren sich die Bürger mit der Gemeinschaftswährung. Bargeld ist Europa zum Anfassen.

Dann ist da das Gefühl von Verlässlichkeit. Apps können ausfallen, Bargeld nicht: Wer Münzen und Scheine griffbereit hat, fühlt sich im Alltag sicherer. Das schafft Vertrauen in die Gemeinschaftswährung. Besonders deutlich zeigt sich das in Krisenzeiten. Lange Schlangen an Geldautomaten in Griechenland bewiesen vor nicht einmal zehn Jahren, dass Bargeld für die Menschen ein wichtiger Anker ist.

Das gilt ebenso für das Finanzsystem: Im Internetzeitalter kann jede und jeder beliebige Summen mit wenigen Mausklicks abziehen. Für einen digitalen Bank Run muss niemand anstehen. Online nimmt er in kürzester Zeit unaufhaltsam seinen Lauf, am Geldautomaten entfaltet er sich in Schrittgeschwindigkeit. Das gibt Politik und Behörden wertvolle Zeit zu reagieren – Zeit, die sie im digitalen Raum oft nicht haben, wenn Panik um sich greift.

Bargeld ist somit ein identitätsstiftendes und stabilisierendes Element der Währungsunion. Mit einem neuen Gesetz und einer Reform der Zahlungsdiensterichtlinie PSD2 will die EU-Kommission verhindern, dass es zum Auslaufmodell wird. Vorrangig soll es Aufgabe von Banken und Sparkassen bleiben, die Bürger mit Bargeld zu versorgen, beteuert die EU-Kommission. Gleichzeitig öffnet sie den Zugang zum Geldsystem. Künftig sollen Bürger Anspruch haben, im Supermarkt oder in der Postfiliale Geld abzuheben, auch wenn sie gar nichts einkaufen.

Supermärkte als Finanzintermediäre im Miniaturformat – diesen Trend beschleunigt ausgerechnet der Bedeutungsverlust des Bargelds. Womöglich bedauern Banken und Sparkassen das nicht mal, schließlich ist die Bargeldversorgung teuer. In jedem Fall müssen sie sich darüber im Klaren sein. Apotheken und andere Stellen der öffentlichen Daseinsvorsorge wiederum sollen verpflichtet werden, Bargeld zu akzeptieren. Möglich, dass auch Nahverkehrs- und Taxibetriebe umdenken und ihre Zahlungssysteme teilweise rückabwickeln müssen.

Sicher, manche Argumente sprechen für eine fortgesetzte Abkehr vom Bargeld, der Kampf gegen Schwarzarbeit zum Beispiel. Doch es gibt übergeordnete Gründe, Bargeld als gesetzliches Zahlungsmittel zu stärken, wie es nun die EU-Kommission tut. Nebenbei kann sie damit Spekulationen über eine vermeintliche Agenda gegen das Bargeld als das entlarven, was sie sein sollten: ein Mythos.

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