Im BlickfeldSanktionspolitik

Russlands Ölkonzerne spielen auf der Seite des Westens

Die russischen Ölkonzerne halten die Sanktionen ein und schädigen dafür den eigenen Staat mit allen Tricks. Weil sie aufgrund der politischen Unsicherheit auch nicht investieren, gefährden sie langfristig den gesamten Sektor.

Russlands Ölkonzerne spielen auf der Seite des Westens

Russlands Ölkonzerne spielen
auf der Seite des Westens

Die russischen Ölkonzerne halten die Sanktionen ein und schädigen dafür den eigenen Staat mit allen Tricks. Weil sie aufgrund der politischen Unsicherheit auch nicht investieren, gefährden sie langfristig den gesamten Sektor.

Von Eduard Steiner, Moskau

Das Unternehmen mit dem Namen Tejarinaft ist nur echten Insidern bekannt. Auch das Unternehmen Nord Axis kennt man höchstens im inneren Kreis des Ölgeschäfts. Bei Firmen wie Bellatrix Petkim, Elbrus General Trading, Concept Oil Services, QR Trading oder Coral Energy ist es ähnlich. Ja selbst die großen und schon länger existierenden Handelsfirmen wie Litasco oder Energopole sind in der breiteren öffentlichen Wahrnehmung nicht angekommen.

Zu Unrecht, könnte man sagen. Schließlich transportieren sie Öl aus dem drittgrößten Ölförderland Russland auf den Weltmarkt und gewährleisten – natürlich nicht uneigennützig – dessen ausreichende Versorgung. Wie Pilze nach dem Regen schossen sie in den vergangenen Monaten und schon im Jahr 2022 aus dem Boden, nachdem die vier großen internationalen und in der Schweiz domizilierten Ölhändler (Trafigura, Vitol, Glencore, Gunvor) ihre Verbindungen mit Russland aufgrund der westlichen Sanktionen gekappt hatten.

In Dubai registriert

Die neuen Ölhändler sind meist in Dubai registriert, manche auch in Hongkong oder Singapur. Einige sind schon länger auf dem Markt und sehen nun ihre große Chance. Manche sind auch Neugründungen und werden Pop-ups genannt, weil sie plötzlich da waren, ohne dass man wusste, wem sie gehören. Dass hier ein gebürtiger Marokkaner, dort ein Azeri oder ein Lette die Geschäfte führen, muss nichts heißen. „Hinter den meisten Handelsfirmen stecken die russischen Ölkonzerne selbst“, sagt der renommierte Moskauer Energieberater Michail Krutichin im Gespräch mit der Börsen-Zeitung.

Die westlichen Sanktionen gegen den russischen Ölsektor, insbesondere die seit Anfang Dezember 2022 geltende Preisobergrenze von 60 Dollar je Barrel für Rohöl, das Russland per Schiff auf den Weltmarkt bringt, haben zwar im Sinne des Westens nicht die globale Versorgung gefährdet. Aber mit dem Ziel, Russland finanziell zu schädigen, um die Finanzierung des Ukraine-Krieges auszutrocknen, haben sie die Geschäftsabläufe gehörig durcheinandergebracht.

Die russischen Konzerne reagierten schnell und nützen die Situation für sich. Dass der Westen einen Preisdeckel verfügt hat, trifft sie daher gar nicht so stark. Im Gegenteil: Sie verdienen heute unter den neuen Bedingungen durchaus prächtig. Und das geht so: Die Handelsfirma übernimmt vom russischen Lieferanten das Öl am Ostseehafen Primorsk bzw. am Schwarzmeerhafen Noworossijsk gewissermaßen zu einem All-inclusive-Preis (sogenannter Free-on-Board-Preis), der unter dem vom Westen verfügten Preisdeckel von 60 Dollar liegt. Damit sind die Sanktionen formal eingehalten. Für den Weitertransport bis zu Endabnehmern wie Indien oder China schlägt die Handelsfirma Transport- und Versicherungskosten auf. Die Ölkonzerne generieren so mit den hohen Frachtkosten „zusätzliche Erlöse, wodurch sie die aufgrund des niedrigen offiziellen Verkaufspreises entgangenen Einnahmen kompensieren“, schreibt Sergej Wakulenko, Ex-Strategiechef des Ölkonzerns Gazprom Neft und nun internationaler Energieberater, in einer Analyse. „Die Überweisung der Frachtkosten ist lediglich eine Verschiebung von einem russischen Konto auf ein anderes.“

Mit dem niedrigen Free-on-Board-Preis schlagen die Konzerne aber gleich zwei Fliegen mit einer Klappe. Denn zur formalen Einhaltung der Sanktionen kommt, dass sie so auch die Steuerabgaben in Russland minimieren. „Die niedrigen offiziellen Verkaufspreise für Öl gehen zulasten des russischen Budgets“, schreibt Wakulenko weiter: In der neuen Situation gebe es „einen Verlierer und mehrere Gewinner“.

Das Ergebnis beim Verlierer, dem russischen Staat, ist inzwischen deutlich sichtbar geworden. Um ganze 45% auf 1,6 Bill. Rubel brachen die für Russland so relevanten Einnahmen aus dem Gas- und Ölexport ein. „Das erste Quartal ist ein Fiasko“, sagt Oleg Wjugin, heute Finanzmanager und zuvor Vizechef der russischen Zentralbank sowie Aufsichtsrat im landesweit größten Ölkonzern Rosneft, der Börsen-Zeitung.

Der April war noch schlechter, sackten doch diese Exporterlöse um 64% gegenüber dem Vergleichsmonat 2022 auf 648 Mrd. Rubel ab, wie das Finanzministerium berichtet. Immerhin stieg der durchschnittliche Preis für ein Barrel Öl der russischen Sorte Urals auf 58,63 Dollar, während er im März noch bei 47,85 Dollar gelegen hatte. Zum Vergleich: Die wichtigste europäische Ölsorte, früher ähnlich teuer wie Urals, kostet aktuell etwa 75 Dollar.

Was das Zeug hält

Für die Ölkonzerne selbst sind diese Rechnungen sekundär. Primär ist, dass sie Öl exportieren, was das Zeug hält. Im ersten Quartal wurde ein Exportvolumen erreicht wie zuletzt vor drei Jahren. „Die Konzerne wollen jetzt noch schnell reich werden“, so Energieexperte Krutichin.

In der Tat legen sie einiges zur Seite. Zwar sind die Summen nicht mit jenen in der Rohstoffhausse der Nullerjahre vergleichbar, als der Ölpreis über 145 Dollar erreicht hat. Das russische Finanzministerium spricht davon, dass die Konzerne 58 Mrd. Dollar in den von Russland so bezeichneten „unfreundlichen Staaten“ des Westens deponiert haben – Geld, das der Fiskus als Grundlage für weitere Überlegungen nimmt, die Steuereinnahmen zu erhöhen.

Schon im April wurde der Besteuerungsmodus geändert. In einer Analyse eines G7-Staates, aus der die „Financial Times“ dieser Tage zitierte, heißt es, dass dieser Schritt wahrscheinlich zu einem Rückschlag führe, weil er langfristige Investitionen in den Ölsektor unterminiere: „Er ist eindeutig destruktiv für ihre Industrie“, sagte ein G7-Vertreter zur FT.

In Wahrheit würde sie Investitionen dringend brauchen. Vor allem neue Lagerstätten müssten erschlossen werden, weil die Vorräte in den bisherigen alten Feldern in Westsibirien und an der Wolga zur Neige gehen. Erst vor vier Jahren hat das Energieministerium prognostiziert, dass die russische Ölförderung ohne Neuinvestitionen bis 2035 um 40% zurückgehen werde.

„Die Konzerne saugen die bestehenden Lagerstätten nun förmlich aus. Denn bis sich in Russland Investitionen amortisieren, braucht es mindestens sieben Jahre und oftmals bis zu 15 Jahre“, sagt Energieexperte Krutichin und ergänzt: „Darauf lässt sich momentan kein Konzern ein. Denn zum Risiko des notorisch instabilen Steuersystems kommt die politische Instabilität. Und die Angst vor einer neuen Mobilisierung und mehr Kontrolle durch den Staat.“

Der Krieg und seine Folgen sind inzwischen also auch zu einer Gefährdung für den russischen Ölsektor insgesamt geworden. So wie es zuvor bereits auf dem Gassektor passiert war: Dort hat der Gaskonzern Gazprom binnen weniger Monate mehr als zwei Drittel seines zuvor wichtigsten Marktes Europa verloren. Und seine Gasförderung ist in den ersten vier Monaten des laufenden Jahres um 18% gefallen.

Ein Öltanker in der Tsemes-Bucht an der Nordostküste des Schwarzen Meeres.