Unterm StrichWohlstand

Sechstagewoche statt Viertagewoche

Deutschland braucht die Sechstagewoche statt der Viertagewoche, außerdem steuerliche Anreize für Mehrarbeit. Sonst ist der Wohlstand angesichts der demografischen Lücke nicht zu halten.

Sechstagewoche statt Viertagewoche

Sechstagewoche statt Viertagewoche

Von Claus Döring

Unterm Strich

Deutschland braucht die Sechstagewoche statt der Viertagewoche sowie steuerliche Anreize für Mehrarbeit. Sonst ist der Wohlstand nicht zu halten.  

Die Viertagewoche bei vollem Lohnausgleich: Für Beschäftigte in einigen Dutzend deutschen Firmen hat sie am Donnerstag schon begonnen. Nicht weil Gewerkschaften dies dort erzwungen hätten, sondern auf freiwilliger Basis. 45 Unternehmen, vom Kleinbetrieb mit weniger als 49 Beschäftigten bis zum mittleren Unternehmen mit mehr als 250 Mitarbeitern, stellen für sechs Monate auf die Viertagewoche um. Das Pilotprojekt wird von der Universität Münster wissenschaftlich begleitet. Die Hoffnung der teilnehmenden Firmen: größere Arbeitszufriedenheit der Mitarbeiter, die sich in weniger Kündigungen und niedrigerem Krankenstand äußert, und damit unterm Strich eine steigende Arbeitsproduktivität pro Stunde. Das jedenfalls waren die Ergebnisse ähnlicher Pilotmodelle in anderen europäischen Ländern, insbesondere in Großbritannien. Dadurch konnten die höheren Personalkosten zumindest zeitweise kompensiert werden.

Liegen die Gewerkschaften also richtig mit ihrer Forderung nach weiteren Arbeitszeitverkürzungen bei vollem Lohnausgleich? Leider nein. Denn erstens lassen sich die Pilotprojekte mit Unternehmen, die sich freiwillig dafür gemeldet haben, nicht auf die Volkswirtschaft insgesamt übertragen. Und zweitens sind die Möglichkeiten zur weiteren Verdichtung der Arbeit von fünf auf vier Tage je nach Beruf und Branche sehr unterschiedlich. Ob Busfahrer, Krankenpfleger, Frisörin, Chirurg oder Richterin – eine Verkürzung der Arbeitszeit führt proportional auch zu weniger Leistung, da in vielen Dienstleistungsberufen die Produktivität nur bedingt gesteigert werden kann. Rechnerisch müsste bei einer Viertagewoche, also einer Reduzierung der Arbeitszeit um 20%, die Stundenproduktivität um 25% gesteigert werden. Selbst wenn das in Einzelfällen sogar möglich wäre, ist es gesamtwirtschaftlich jedoch utopisch.

Arbeitszeitverkürzungen ohne Lohnverzichte führen volkswirtschaftlich zu Wohlstandsverlusten, wenn die Produktivität nicht entsprechend zunimmt. Genau das ist in Deutschland der Fall. Einer rekordhohen Beschäftigung steht ein stagnierendes oder abermals sinkendes Bruttoinlandsprodukt (BIP) gegenüber.  Da mag man darüber streiten, ob das Land nun „der kranke Mann Europas“ ist oder einfach nur ein „müder Mann“. Fakt ist: In dieser Situation die Arbeitszeit zu verkürzen, führt zu weiteren Wohlstandverlusten und verhindert, dass durch Wachstum Verteilungsspielräume entstehen. Letztere aber wären nötig, um Arbeitszeitverkürzungen und Lohnzuwächse zu ermöglichen, die über den Ausgleich der Inflationsrate hinausgehen.

Hinzu kommt die demografische Lücke, die das Arbeitsangebot weiter verknappen wird. Sie kann nur durch Zuwanderung, höhere Erwerbsbeteiligung wie Vollzeit statt Teilzeit oder längere Lebensarbeitszeit, höhere Arbeitszeit pro Kopf oder bessere Produktivität kompensiert werden. Da Deutschland sich bei Produktivitätstreibern wie Digitalisierung und technischem Fortschritt selbst Fesseln anlegt, die politische Mehrheit Zuwanderung eher begrenzen als ausweiten will und längere Lebensarbeitszeiten ablehnt, bleibt nur die individuelle Arbeitszeit als Stellschraube für mehr Wachstum und Wohlstand. Nicht die Verkürzung, sondern die Verlängerung der Wochenarbeitszeiten wäre deshalb das Gebot der Stunde. Sie sollte kombiniert werden mit flexibler Gestaltung soweit möglich, um die Vereinbarkeit mit Familie, also Kinderbetreuung oder Kranken- und Altenpflege, sowie privaten Interessen zu erleichtern. Mit Blick auf die maximal zulässige tägliche Arbeitszeit von 10 Stunden wäre also eher über die Sechstagewoche nachzudenken als über die Viertagewoche. Für solche Mehrarbeit sind steuerliche Anreize zu schaffen, damit sie sich unterm Strich auch lohnt. Das schließt nicht aus, dass es trotzdem Betriebe mit kürzeren Wochenarbeitszeiten geben kann, wie in jenen des eingangs erwähnten Pilotprojekts. Ein Modell für ganz Deutschland sind sie nicht.     

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