Wahlprogramm

Staatlicher Dirigismus in grünem Gewand

Statt auf die Lenkungsfunktion von Preisen und Märkten setzen die Grünen im Wahlprogramm auf die Klugheit der Politik und auf Investitionen des Staates.

Staatlicher Dirigismus in grünem Gewand

Chapeau, da haben die Lobbyisten der Solarpanelhersteller und der Wärmepumpenindustrie ganze Ar­beit geleistet. Eine Million solarzellenbestückte Dächer und zwei Millionen Wärmepumpen sollen in den nächsten vier Jahren mit staatlicher Förderung zur Klimawende beitragen, wenn es nach dem Programm der Grünen für die Bundestagswahl 2021 geht. Und da Bündnis 90/Die Grünen bundesweit zur zweitstärksten politischen Kraft hinter CDU/CSU avanciert sind und aus heutiger Sicht der nächsten Bundesregierung angehören werden, in welcher Koalition auch immer, sind die Chancen hoch, dass diese und viele andere Vorschläge es aus dem Programmentwurf in den Koalitionsvertrag schaffen.

Sozial-ökologischer Umbau

So sehr manche Punkte der jetzt auf 134 Seiten zusammengeschriebenen Wahlpositionen die Herzen nicht nur grüner Politiker, sondern auch der davon profitierenden Unternehmen und Handwerker erwärmen mögen: Alles in allem ist das Programm ein Bekenntnis zu staatlichem Dirigismus, auch wenn es an manchen Stellen einen marktwirtschaftlichen Anstrich bekommen hat. Mit dem Begriff „Sozial-ökologische Marktwirtschaft“ wird verbrämt, dass man es nicht bei der Festlegung von Zielen beispielsweise für den Klimaschutz und der dafür nötigen Rahmenbedingungen belässt, sondern auch den Weg dorthin mit Markteingriffen und Subventionen vorab festlegen will. Beispiel: Einerseits wird die CO2-Bepreisung als zielgerichtetes marktwirtschaftliches Instrument für den Klimaschutz akzeptiert, andererseits soll aber der Preis staatlich festgesetzt bis 2023 auf 60 Euro je Tonne steigen, wenn nötig im nationalen Alleingang. Soziale Unwucht will man mit einem Energiegeld „fair aufgeteilt pro Kopf“ ausgleichen, der Wettbewerbsnachteile befürchtenden Industrie wird eine schnellere Dekarbonisierung und eine „grüne Eigenstromversorgung“ ans Herz gelegt.

Die Preisbildung nicht dem Markt zu überlassen, der diese Signale ja benötigt, um Knappheiten frühzeitig erkennen und beseitigen zu können, gehört zum grünen Faden der sozial-ökologischen Transformation. Ob Mindestlohn oder Mietpreisbremse, Maklergebühren oder Modernisierungsumlage – die Grünen gefallen sich in der Rolle des Preiskommissars. Statt auf die Lenkungsfunktion der Preise setzen die Grünen auf die Klugheit der Politik und eine „weitsichtige Industriepolitik“. Neuwagen mit Verbrennungsmotor werden ab 2030 verboten, Kurzstreckenflüge wird es ab dann auch nicht mehr geben. Denn der Ausbau des Bahnnetzes macht sie überflüssig. Die Grünen wollen Europa zum Weltmarktführer einer ökologischen Batteriezellenproduktion machen und den Wandel der Industrie mit regionalen Transformationsfonds unterstützen. Um die vielen Projekte vom Infrastrukturausbau und schnellen Internet bis hin zum Mehrwegsystem für den To-go-Kaffeebecher finanzieren zu können, mit denen Deutschland bei den öffentlichen Investitionen im Vergleich der Industrieländer „vom Nachzügler zum Spitzenreiter“ werden soll, planen die Grünen ein „Jahrzehnt der Zukunftsinvestitionen“ mit zusätzlichen Investitionen von 50 Mrd. Euro pro Jahr.

Dass sich die Begeisterung der Industrie über das grüne Wahlprogramm gleichwohl in Grenzen hält, liegt an der Finanzierung der schönen neuen sozial-ökologischen Welt. Auf Steuererleichterungen, um die beschleunigte Transformation leisten zu können, darf die Wirtschaft nicht setzen. Die jährlich 50 Mrd. Euro an angeblichen Subventionen für „klimaschädliches Verhalten“ sollen schrittweise wegfallen. Die Vermögensteuer soll wiedereingeführt, die Spitzensteuersätze erhöht und Kapitalerträge wieder progressiv besteuert werden. Und weil dies alles vermutlich nicht reichen dürfte, machen sich die Grünen an die Neudefinition der Schuldenbremse. Für staatliche Investitionen soll sie aufgehoben werden, denn: „Die kluge Unternehmerin spart nicht, sie investiert. Der kluge Staat tut es ihr gleich“, heißt es im grünen Wahlprogramm. Ein Kapitel darüber, wann Staaten respektive ihre Regierungen jemals „klug“ Geld ausgegeben haben, fehlt leider. Und vor allem: Wenn die Unternehmerin ihr Geld nicht so klug investiert, geht es zulasten ihres Geldbeutels. Wenn Politiker nicht so klug investieren, geht es zulasten des Steuerzahlers.

Für Trennbankensystem

Nicht nur sozial-ökologisch, sondern vor allem sozial-romantisch geht es im Kapitel über die Finanzmärkte zu. Unter der Überschrift „Saubere Bilanzen am deutschen Kapitalmarkt“ schlagen die Grünen allen Ernstes vor, dass Wirtschaftsprüfer nicht vom Unternehmen selbst (also dem Aufsichtsrat als Kontrollinstanz der Eigentümer), sondern von „Unabhängigen“ ausgewählt werden sollen. Zwei Sätze weiter heißt es, dass Aufsichtsräte gestärkt und kompetent besetzt werden müssen. Corporate Governance scheint für die Grünen immer noch Terra incognita zu sein. Mit „realitätsfern“ ist noch wohlwollend beschrieben, was das Grünen-Programm über Banken zum Besten gibt: „Das Bankgeschäft muss wieder langweilig werden. Auch über zehn Jahre nach der Finanzkrise geht von Banken noch immer eine Gefahr für die Wirtschaft aus.“ Konkret wollen die Grünen „das riskante Investmentgeschäft“ vom Einlagen- und Kreditgeschäft trennen. Außerdem sollen „zu große Banken“ entflochten werden. Zu große Banken in Deutschland? Dass die staatlichen Bankenaufseher von BaFin über Bundesbank bis zur EZB insbesondere die deutsche Kreditwirtschaft seit Jahren zu mehr Konsolidierungsanstrengungen auffordern, scheint man in der grünen Partei noch nicht mitbekommen zu haben. Und Fälle wie Greensill ebenfalls nicht. Denn „für kleine Banken, von denen kein Risiko für das Finanzsystem ausgeht, sollten einfachere Regeln gelten“.

Nach den jüngsten Landtagswahlen und auf Basis der Meinungsumfragen zählt Bündnis 90/Die Grünen zu den großen Volksparteien Deutschlands. Das Wahlprogramm atmet leider noch an vielen Stellen das Sektierertum ihrer frühen Jahre.

c.doering@boersen-zeitung.de