Notiert inLondon

Starke Zentrifugalkräfte

Es entbehrt nicht einer gewissen Komik, dass die im schottischen Regionalparlament Holyrood durchregierenden Nationalisten mit immer neuen Unabhängigkeitsbestrebungen konfrontiert werden. Zuerst war auf den Shetland-Inseln ein Wiedererstarken des Separatismus zu beobachten. Nun hat man auch auf dem Orkney-Archipel die Schnauze voll.

Starke Zentrifugalkräfte

Notiert in London

Starke Zentrifugalkräfte

Von Andreas Hippin

Es entbehrt nicht einer gewissen Komik, dass die im schottischen Regionalparlament Holyrood durchregierenden Nationalisten mit immer neuen Unabhängigkeitsbestrebungen konfrontiert werden. Zuerst war auf den Shetlandinseln ein Wiedererstarken des Separatismus zu beobachten. Nun hat man auch auf dem Orkney-Archipel die Schnauze voll. Die Lokalverwaltung stimmte für einen Antrag von James Stockan, Alternativen zur Zugehörigkeit zu Schottland zu suchen, die den Bewohnern größere finanzielle Sicherheit und bessere wirtschaftliche Chancen bieten könnten. Stockan ist ein unabhängiger Lokalpolitiker, der an der Spitze des Orkney Islands Council steht. Der Antrag sieht vor, die Verbindungen zu nordischen Ländern ebenso zu prüfen wie den Status eines British Crown Territory wie Guernsey, Jersey und Isle of Man oder eines British Overseas Territory wie die Falklandinseln. Die Aufmerksamkeit der weltweiten Medien war Stockan gewiss. Die norwegische Hauptstadt liegt geografisch näher als London. Prompt wurde von „Orkxit“ und der Möglichkeit fabuliert, dass sich die Insulaner dafür entscheiden könnten, London durch Oslo zu ersetzen. Es gehe nicht darum, „dass wir Norwegen beitreten“, stellte Stockan klar. „Ich denke, es ist an der Zeit, dass uns die Regierung ernst nimmt und dass wir uns alle Optionen ansehen, die wir haben.“ 

Erst 1472 wurden die Orkney- und Shetlandinseln Teil Schottlands. König Jakob III. annektierte sie, nachdem König Christian I. von Dänemark die Aussteuer seiner Tochter, Prinzessin Margarethe, nicht zahlen konnte. Viele Einwohner von Orkney stammen von den Wikingern ab. Die Inseln prägt roter Sandstein, der sich aus dem Meer erhebt. Berge oder nennenswerte Hügel gibt es nicht. Ihre flache Oberfläche ist grün und fruchtbar. Sie liegen zwar nicht weit vor der Küste der schottischen Grafschaft Caithness. Doch die See ist rau. Die dadurch bedingte Abgeschiedenheit hat dazu geführt, dass die Orkadier immer eine eigene Politik verfolgt haben. Sie schickten fast durchgängig seit 1859 liberaldemokratische Abgeordnete nach Westminster. Sie stimmten beim Referendum 2013 mit Zweidrittelmehrheit gegen die Unabhängigkeit Schottlands.  

„Sowohl die Menschen von Orkney als auch die Bewohner der Shetlandinseln haben die Inkompetenz von Westminster und die Korruption in Holyrood satt“, schrieb Anne Smith in einem Leserbrief an den „Daily Telegraph“. „Sie haben keine natürliche Affinität zum schottischen Festland.“ Zu den Dingen, die den Insulanern sauer aufstoßen, gehören die Preise für Flüge vom kleinen Flughafen der Inselhauptstadt Kirkwall aufs Festland. Die in die Jahre gekommenen Fähren, die zwischen der Hauptinsel und anderen Inseln verkehren, machen Probleme. „Wir müssen die gesamte Flotte ersetzen“, sagte Stockan. „Uns werden die Dinge verweigert, die andere Regionen bekommen.“ Die Energiekrise steigerte den Unmut. Haushalte auf Orkney haben keinen Gasanschluss. Sie müssen auf teure Energieträger wie Flaschengas und Heizöl zurückgreifen, deren Kosten von der Regierung nicht gedeckelt wurden – oder auf Torfbriketts.

Mit dem nordischen Erbe ist es dagegen so eine Sache. Bei der Volkszählung 2011 beschrieben 62,4% der Bewohner ihre Nationalität als ausschließlich schottisch, 10,8% als britisch und um die 6% als englisch. Gut zwei Fünftel gaben an, Scots zu sprechen. Mögen sich Sprachwissenschaftler darüber streiten, ob es sich dabei um eine eigenständige westgermanische Sprache oder einen englischen Dialekt handelt. Es waren jedenfalls fast doppelt so viele wie in Edinburgh. Der letzte Mensch, der die einst auf den Orkney- und Shetlandinseln gängige Sprache Norn beherrschte, war Walter Sutherland von der Shetlandinsel Unst. Er starb bereits Mitte des 19. Jahrhunderts. Für einen muffigen Kulturnationalismus gibt es also keine richtige Basis. Zumindest eins ist den Orkadiern klar: Für die schottischen Nationalisten endet die Dezentralisierung in Holyrood. Sie wollen weder den Orkney- noch den Shetlandinseln mehr Eigenständigkeit zugestehen. 

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