Start-ups legen sich mit Google an
Notiert in Brüssel
Start-ups vs. Google
Von Stefan Reccius
Shopping. Flüge. Hotels. Restaurants. Führungen. Ausflüge. Routen. Stellenausschreibungen. Übersetzer. Nach welchen Angeboten und Dienstleistungen Menschen am Smartphone, Tablet oder PC auch suchen, früher oder später landen sie fast immer bei Google. Nicht selten ohne dass es ihnen bewusst ist. Googles Allmacht im Internet ist hinreichend belegt – und sie lässt Internetunternehmer mit frischen Geschäftsideen verzweifeln.
100 Tage hat Google noch, um endlich einzulenken: Das ist die Botschaft eines Positionspapiers, das Start-up-Verbände aus Deutschland, Frankreich, Italien und die Berliner Denkfabrik Internet Economy Foundation am Dienstag zusammen veröffentlicht haben. Ihre Forderungen: Googles Suchmaschine muss eine neutrale Anlaufstelle für Unternehmen und Verbraucher werden, ohne Hausmarken zu bevorzugen. Dafür müssen sämtliche Werbeboxen verschwinden – dauerhaft und ersatzlos.
David gegen Goliath
Es ist ein Klassiker aus der Reihe David gegen Goliath. Ausgetragen wird das ungleiche Duell in Brüssel: Dort haben die EU-Gesetzgeber den Digital Markets Act ersonnen, in der Szene bloß DMA genannt. Das Gesetzeskonvolut soll ein halbes Dutzend Szenegrößen einhegen, neben der Google-Mutter Alphabet Amazon, Apple, Bytedance (Tiktok), Meta (Facebook, Instagram, Whatsapp) und Microsoft. Bis 6. März 2024 haben sie Zeit, ihre Geschäftspraktiken anzupassen. Daher die 100-Tage-Frist.
Der Frust von Jungunternehmern richtet sich quasi ausschließlich gegen Google, gespeist aus Wut und einem Gefühl der Ohnmacht. Albrecht von Sonntag kann das nur zu gut nachempfinden. Der Gründer des Vergleichsportals Idealo hat in der Frühphase des Internets bereits ähnlich leidvolle Erfahrungen gemacht: Jedes Mal, wenn ein Markt eine gewisse Reife erreicht habe, trete Google mit einem eigenen Produkt auf den Plan und mache innovative Neulinge platt, so seine Botschaft.
Konkurrent und Partner
Folgerichtig liest sich das 16-seitige Positionspapier der Start-up-Verbände wie eine Anklageschrift gegen Google. Sie wollen keinerlei Anzeichen erkennen, dass Google den Anforderungen des DMA nachkommt. Der Konzern ignoriere es schlicht. Es sei allenfalls mit Scheinlösungen zu rechnen, wenn überhaupt. Über etwaige Neuerungen auf dem Laufenden gehalten werde von Google ohnehin nur, wer im Gegenzug Verschwiegenheitserklärungen unterschreibe, heißt es in Reihen der Start-ups.
Ihr Dilemma: Google ist Feind und Freund, Wettbewerber und Partner zugleich. Potenzielle Kunden werden auf Firmen wie Getyourguide vielfach überhaupt nur dank Googles Suchmaschine aufmerksam, so dominant ist sie. Die Unternehmer sind also auf den berüchtigten Google-Traffic angewiesen. Aber auch darauf, dass Google diese Machtposition nicht missbraucht, indem es ausgewählte, eigene Dienste in Suchergebnissen bevorzugt – was offenkundig am laufenden Band geschieht.
Einen mächtigen Verbündeten haben die Start-ups in Andreas Mundt, dem Chef des Bundeskartellamts. Seine Behörde weitet den Digital Markets Act bereits auf Google-Dienste wie E-Mail und Übersetzungen aus, wenn es ums Datensammeln geht. Bei solchen Aussagen vernimmt Mundt energisch zustimmendes Nicken der Wettbewerber. Doch auch Mundt berichtet sinngemäß von Verzögerungstaktiken Googles.
Alle Hoffnungen ruhen deshalb aktuell auf der EU-Kommission. Nun kommt es darauf an, dass sie den DMA entschlossen durchsetzt. Von einem Gamechanger ist die Rede, einem Sieg für Europas Digitalunternehmen. Nur: Wie konsequent wird die Behörde sein?
Wettbewerbshüter Olivier Guersent bittet die heimischen Unternehmer um Geduld: Google müsse Layouts testen und Verträge neu verhandeln, das alles koste Aufwand und Zeit. Seine Erwartungshaltung: Nutzer müssten "einen Unterschied sehen", wenn sie am Morgen des 7. März 2024 Google ansteuern. Andernfalls kann die EU-Kommission ein Verfahren einleiten und Strafen verhängen. Den Davids hilft aber nur, wenn Goliath sein Verhalten ändert.