LEITARTIKEL

Steigbügelhalter Loeb

Der Kurs der Nestlé-Aktie ist erstmals über 100 sfr gestiegen. Darüber wird sich ein Anteilseigner besonders freuen: der US-Investor Dan Loeb, Gründer und CEO des Hedgefonds Third Point, der sich den steilen Kursanstieg seit Mitte vorigen Jahres als...

Steigbügelhalter Loeb

Der Kurs der Nestlé-Aktie ist erstmals über 100 sfr gestiegen. Darüber wird sich ein Anteilseigner besonders freuen: der US-Investor Dan Loeb, Gründer und CEO des Hedgefonds Third Point, der sich den steilen Kursanstieg seit Mitte vorigen Jahres als Verdienst anrechnen und künftig bei Geldgebern und unkooperativen Unternehmensführungen auf diese Wertsteigerung verweisen dürfte. Der aktivistische Finanzinvestor hatte im Juni 2017 mitgeteilt, 3,5 Mrd. Dollar in rund 40 Millionen Nestlé-Aktien investiert zu haben, was einem Anteil von 1,25 % am weltgrößten Lebensmittelkonzern entsprach. Heute hat dieses Paket einen Wert von knapp 4,2 Mrd. Dollar.Loeb hatte bei seinem Einstieg zahlreiche Forderungen aufgestellt; zumindest ein Teil davon wurde vom Nestlé-Board umgesetzt. Wie bei vielen Investments von Third Point wurde die Notwendigkeit eines Portfolioumbaus hervorgehoben, um so stärkeres Wachstum und eine höhere Profitabilität zu erzielen. Überzuckert wird dieser Vorwurf des Managementversagens – denn um nichts anderes handelt es sich – oft mit vordergründigem Lob für die Konzernführung, um diese nicht völlig gegen den streitbaren Investor aufzubringen. Auch wird die hohe Qualität der zugrunde liegenden Geschäfte betont, aber eben auch die Unterbewertung des Unternehmens, über die kein Aktionär glücklich ist.Die Wortmeldung von Third Point erfolgte, ein halbes Jahr nachdem Mark Schneider – zuvor 13 Jahre lang Vorstandschef des Gesundheitskonzerns Fresenius – sein Amt als CEO von Nestlé angetreten hatte. Das war natürlich kein Zufall. Schneider, der erste Konzernchef seit 1922, der von außen kam, besaß als “Externer” noch keine Hausmacht und konnte nach der kurzen Zeit, die seit seiner Inthronisation vergangen war, noch keine Erfolge vorweisen. Der heute 53-Jährige war damals also relativ leicht unter Druck zu setzen – hätte man annehmen können. Doch wahrscheinlicher ist, dass Loeb (57) Schneider als Steigbügelhalter diente. Schließlich hatte er – bei aller Zurückhaltung in seiner Anfangszeit bei Nestlé – doch früh zu verstehen gegeben, dass er genau das vorhatte, was Third Point forderte: einen forcierten Umbau durch Trennung von wachstumsschwachen oder sich enttäuschend entwickelnden Geschäften – etwa die Hautpflegesparte Nestlé Skin Health, die nun für 9,2 Mrd. Euro abgegeben werden soll -, und der Einstieg in vielversprechende und margenstarke Projekte. Wenige Tage, bevor Loeb mit seinem Engagement an die Öffentlichkeit ging, hatte Nestlé das US-Süßwarengeschäft ins Schaufenster gestellt; die Verkaufsmeldung folgte im Januar 2018. Ferrero angelte sich die Sparte für 2,8 Mrd. Dollar. Nur einen Tag nach der aufsehenerregenden Veröffentlichung des Aktionärsbriefs von Loeb skizzierte Nestlé ihr neues Wertschöpfungsmodell, das natürlich auf Schneider zurückging, in weiten Teilen aber auch dem nahekam, was Third Point gefordert hatte.Es ist naiv zu glauben, das Topmanagement eines Großkonzerns wie Nestlé – an der Börse umgerechnet 275 Mrd. Euro schwer – ließe sich von einem aktivistischen Investor wie Loeb vor sich hertreiben wie dies Third Point zuvor etwa bei der Führung der angeschlagenen Yahoo gelungen war. Zumal der Großteil der Nestlé-Aktionäre – anders als Third Point – sein Investment nicht mit der Prämisse hoher Wachstumsraten, stark steigender Margen und stattlicher Kursgewinne getätigt hat, sondern unter Sicherheitsaspekten. Denn die Nestlé-Aktie ist unter den Dividendenpapieren so etwas wie die Bundesanleihe unter den Bonds. Natürlich freuen sich Anteilseigner über regelmäßige Wertzuwächse, doch die Mehrheit der Aktionäre will vor allem keine Verluste durch allzu gewagte Investitionen oder neue Geschäftsmodelle. Wenn sie Risiko suchten, würden diese Anleger in Tesla oder Uber investieren.Insofern ist Schneider einige Wagnisse eingegangen, die Investoren wie Loeb gefallen mögen, konservativen Anlegern aber Sorgenfalten auf die Stirn treiben. Am stärksten ins Gewicht fiel der im Mai 2018 angekündigte Kauf von Vertriebslizenzen von Starbucks für 7,15 Mrd. Dollar. Der Preis war auf Basis üblicher Multiples happig. Daran übten viele Analysten Kritik, denn auf Trends – welcher Art auch immer – zu setzen, kann gut gehen, muss aber nicht. Dieses Risiko schien aber im Preis für die Starbucks-Lizenzen kaum berücksichtigt worden zu sein. Ein Zugeständnis an Loeb? Falls ja, sollte es ein Einzelfall bleiben, denn wenn das Teil der neuen Strategie ist, wird Schneider weit mehr Kapital gegen sich aufbringen, als er mit dem Eingehen von für Nestlé unüblichen Risiken hinter sich schart.——Von Martin DunzendorferDer Umbau bei Nestlé geht nicht auf den Einstieg von Dan Loeb zurück. Der Investor ist nur ein Steigbügelhalter für CEO Mark Schneider und seine Pläne.——