Notiert in Tokio

Stopp für Japans Magnetschwebebahn

Der Rücktritt eines Provinzpolitikers wirft ein Schlaglicht darauf, dass das ehrgeizigste Bahnprojekt der Welt im wahren Wortsinne im Untergrund steckengeblieben ist.

Stopp für Japans Magnetschwebebahn

NOTIERT IN TOKIO

Stopp für Japans Maglevbahn

Von Martin Fritz

Diese Nachricht erschüttert Japan: Die Magnetschwebebahn (Maglev) auf der Strecke zwischen Tokio und Nagoya, auf Japanisch Chuo Shinkansen genannt, geht statt 2027 erst 2034 in Betrieb. Das bedeutet: Die Magnetbahn wird mit sieben Jahren Verspätung auf den 286 Kilometern zwischen den beiden Metropolen verkehren. Ein nationaler Rückschlag: Japan wollte als erstes Land der Welt eine Langstrecken-Magnetbahn in Betrieb nehmen. Zweifel daran wurden lange weggeschoben, plötzlich waren sie zurück.

Für die Verzögerung machte Japan Railways (JR) Central fast ausschließlich den Gouverneur der Präfektur Shizuoka verantwortlich. Heita Kawakatsu eignete sich perfekt als Sündenbock: Er blockiert seit zehn Jahren den Tunnelbau für die Magnetbahn auf dem kurzen Streckenabschnitt durch seine Präfektur, weil die Bauarbeiten im Untergrund die Quelle des Flusses Oi und damit dessen Wassermenge erheblich beeinträchtigen werden. Zehntausende Anwohner, vor allem Bauern, sind auf diesen Fluss angewiesen.

Kaum hatte JR Central die Verzögerung bekannt gegeben, keimte jedoch frische Hoffnung auf, dass die Baugenehmigung doch noch erteilt und die Strecke damit schneller fertig gebaut werden könnte. Denn völlig unerwartet will Kawakatsu seinen Posten als Gouverneur im Juni vorzeitig räumen. Die Neuwahl findet voraussichtlich schon Ende Mai statt. Mit seinem Rücktritt büßte der 75-Jährige für einen schweren Fauxpas, den er sich bei der Einführungszeremonie für die neuen Beamten der Präfekturverwaltung geleistet hatte. In seiner Rede sagte Kawakatsu: „Jeder hier ist ein kluger und hochintelligenter Mensch, im Gegensatz zu denen, die Gemüse verkaufen, Kühe hüten oder Dinge herstellen.“ Als der absehbare Sturm der Entrüstung über diese Beleidigung ganzer Berufsgruppen einsetzte, kündigte der Gouverneur schon am nächsten Tag an, sein Amt aufzugeben.

Verzögerungen auch anderswo

Politische Beobachter vermuten, dass Kawakatsu damit einen gesichtswahrenden Weg gefunden hatte, um aus der Politik auszusteigen, ohne einen Zusammenhang mit seiner Maglev-Blockade herzustellen. Denn aus Sicht vieler Japaner hatte er zwar die Interessen von Shizuoka bewahrt, aber zugleich quasi im Alleingang ein nationales Prestigeprojekt gestoppt und JR Central schweren wirtschaftlichen Schaden zugefügt. Ohnehin wurde schon länger vermutet, dass Kawakatsu mit der Wasserfrage eigentlich JR Central erpressen wollte, auf der alten Shinkansen-Linie einen neuen Bahnhof am Flughafen Shizuoka zu bauen.

Genauso gut hätte Kawakatsu die Vorwürfe des Bahnbetreibers auch einfach zurückweisen können. Denn auch ohne den Tunnel durch Shizuoka wird die Maglev-Strecke niemals bis 2027 fertig. Andere Tunnelabschnitte liegen zeitlich noch mehr zurück, woanders verzögern Klagen den Start. Trotz des Rücktritts von Kawakatsu besteht also kein Grund zur Hoffnung, dass die Magnetbahn doch vor 2034 zu rasen beginnt.

Von Martin Fritz
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