Notiert in FrankfurtPoetry Slam

Sturm- und Drangfurt

Frankfurt lädt zum U20 Poetry Slam, einem Wettstreit junger Dichter. Dass die ganze Chose in Frankfurt stattfindet, lässt sich gut begründen. Schließlich haben in der Stadt am Main schon immer begnadete Lyriker gelebt.

Sturm- und Drangfurt

Notiert in Frankfurt

Sturm- und Drangfurt

Von Detlef Fechtner

Frankfurt richtet im Oktober wieder eine Menge Meisterschaften aus. So treffen sich die besten hessischen Latein- und Standardtänzer auf dem Parkett von Schwarz-Silber, um ihre Champions zu ermitteln. Und in der Süwag-Arena im Stadtteil Höchst kämpfen einige Tage später Timo Boll, Ma Long & Co. an der Platte um den Titel eines Welttischtennis-Champions – und nebenbei um 800.000 Dollar Prämien für die Sieger.

Mein persönlicher Favorit findet derweil nächste Woche statt – im English Theatre, im Elfer Music Club, im Internationalen Theater, in der Kirche Sankt Peter, in der Volksbühne und schließlich – das Finale – im Kinozentrum Metropolis am Eschenheimer Turm: die U20 Slam Poetry Championships. Also der Wettkampf von 60 jungen Dichtern, die ein "gemeinsames, seltsames Hobby" verbindet (Originalton der Veranstalter-Website) und die quasi live a cappella rappen.

Allen, die sich unter Poetry Slam wenig vorstellen können, sei ein „Klassiker“ ans Herz gelegt. Er stammt von Harry Baker, einem jungen Poeten und Mathematiker, und geht so: „My name is Harry Baker, Harry Baker is my name, if your name was Harry Baker, then our names would be the same.“

Schlicht. Simpel. Aber vor allem: rhythmisch. Rhythmus ist das Herz des Poetry Slam, Rhythmus und die Leidenschaft im Vortrag. Insofern ist Poetry Slam wie Rock ohne musikalische Begleitung. Und Poetry Slam ist die moderne Fortsetzung dessen, was vor 250 Jahren als Sturm und Drang Literaturgeschichte geschrieben hat.

Das wiederum ist einer der Gründe, warum sich Frankfurt als Ausrichtungsort der U20 Slam Poetry Championships geradezu aufdrängt. Schließlich ist Frankfurt nicht nur die Stadt der Banker, sondern auch die Stadt der Dichter. Immerhin haben zwei der größten – wenn nicht gar die beiden größten – deutschen Lyriker in Frankfurt gelebt. Johann Wolfgang Goethe, erst Stürmer, erst Dränger und später dann Klassiker, ist als Enkel des Frankfurter Schultheiß Johann Wolfgang Textor im Hirschgraben geboren und hat rund um Römer und Liebfrauenberg seine Jugend verbracht. Und Robert Gernhardt, der in vielen Runden genauso häufig zitiert wird wie Karl Valentin, Mark Twain oder Oscar Wilde, zog in den 1960er Jahren von Berlin an den Main und war einer der Mitbegründer der Neuen Frankfurter Schule.

„Wie? Soll ich fliehen? Wälderwärts ziehen? Alles vergebens! Krone des Lebens, Glück ohne Ruh, Liebe, bist Du!“ – was Goethe 1776 unter dem Titel „Rastlose Liebe“ in sein Notizbuch kritzelte, hätte nächste Woche durchaus Chancen auf eine Platzierung im Slam-Finale. Wäre da nicht der Schönheitsfehler, dass Goethe seinerzeit bereits sieben Jahre zu alt war für die U20. Denn Poetry Slam ist eine Domäne junger Menschen. Es gilt wie beim Turmspringen: Das beste Wettkampfalter liegt zwischen 16 und 18 Jahren.

Auch bei Robert Gernhardt findet sich viel von dem, was heute das Publikum von Poetry Slams begeistert. „..,- fertig ist das Mondgedicht“ ist wahrscheinlich nicht nur eines der kürzesten Gedichte der Literaturgeschichte, sondern auch ein Meisterwerk des Rhythmus. Und dass Gedichte, ob niedergeschrieben oder geslamt, idealerweise mit einer Pointe abschließen, davon ist schnell überzeugt, wer Gernhardt liest: „Ich leide an Versagensangst, besonders, wenn ich dichte. Die Angst, die machte mir bereits manch schönen Reim zuschanden.“

In Frankfurt werden am nächsten Wochenende also wieder die Dichter das Wort haben – beim Slam. Warum man gerade dieses Wort, das ja sonst eigentlich eher für Türen benutzt wird, die zugeknallt werden, als Bezeichnung für die Lyrikwettbewerbe gewählt hat, dafür hat jener Harry Baker eine Erklärung, der selbst auf vielen dieser Veranstaltungen auftritt. „Poetry Slam ist ein Veranstaltungsformat, das vor 30 Jahren in den Vereinigten Staaten entwickelt wurde als eine Möglichkeit, Menschen dazu zu bringen, in Lyriklesungen zu gehen, indem man ein aufregendes Wort wie "Slam" an das Ende gesetzt hat.“

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