Unterm Strich

Subventionen für die digitale Transformation?

Die Pressefreiheit ist in Gefahr, wenn Verlage nach staatlicher Finanzhilfe rufen, ganz gleich mit welchen vorgeschobenen Begründungen.

Subventionen für die digitale Transformation?

So kennt man es aus 50 Jahre alten Filmen oder den Erzählungen der Großeltern: Die morgens am Frühstückstisch versammelte Familie teilt sich die vom Junior gerade aus dem Briefkasten geholte Tageszeitung auf. Der Politik- und Wirtschaftsteil für den Herrn Papa, der Lokalteil für die Hausfrau – wegen der Anzeigen des Lebensmittel-Supermarkts – und der Sportteil eventuell für den an Fußball interessierten Nachwuchs. Selbst wenn diese Stereotype selten ganz zutraf, so war sie doch das über Jahrzehnte von den Zeitungsverlegern gepflegte Narrativ.

Tageszeitung Auslaufmodell?

Die gedruckte Tageszeitung als Begleiter beim Start in den Tag – und die allmorgendliche Zustellung der Zeitung als systemrelevante Dienstleistung. Zumindest bei den Verlegerverbänden scheint sich diese Denke aller Digitalisierung zum Trotz bis zum heutigen Tag gehalten zu haben. Denn als vor drei Wochen das Bundeswirtschaftsministerium darüber informierte, dass es mit der geplanten Förderung für die Verlage in Höhe von 220 Mill. Euro in dieser Legislaturperiode nichts mehr werden würde, sahen die Lobbyisten gar die Pressefreiheit in Gefahr: Die Zustellförderung sei das richtige Instrument, um die Verlage bei der digitalen Transformation zu unterstützen und gleichzeitig die Unabhängigkeit der Redaktionen zu wahren, wurde argumentiert. Was würde wohl in den Zeitungen stehen, wenn die Autoindustrie die Subventionierung von Dieselmotoren forderte, um den Umstieg der Branche auf die Elektromobilität zu unterstützen?

Zweifelsohne haben Verlage – wie viele andere Branchen auch – unter den Folgen der Pandemie zu leiden. Wenn Unternehmen die Produktion herunterfahren, Läden schließen und Veranstaltungen ausfallen, ist auch keine oder zumindest weniger Werbung nötig. Wenn sich der Handel ins Internet verlagert, folgt auch die Werbung ins Internet. Ein Trend freilich, den es schon vor der Pandemie gab. Er hat sich nur deutlich beschleunigt. Ein solcher Strukturwandel ist allerdings kein Grund für staatliche Subventionen, schon gar nicht zur Erhaltung nicht mehr wettbewerbsfähiger Marktstrukturen und Anbieter. Selbst wenn die Politik aktuell dem Wehklagen vieler Branchen nachgibt und leider mit Milliardensummen nicht nur technologischen Wandel wie Digitalisierung und Klimaschutz fördert, sondern oftmals auch die Aufrechterhaltung des Status quo, wären staatliche Finanzspritzen für Presseverlage in Deutschland nicht nur ein Novum, sondern auch ein bedenkliches und möglicherweise verfassungswidriges Vorhaben.

Ausgangspunkt der Subventionsforderung war der seit 2018 in der Zeitungszustellung voll geltende Mindestlohn. Die Verlage malten ein düsteres Bild an die Wand, wonach schon in wenigen Jahren in bis zu 40% der Gemeinden die Zeitungszustellung nicht mehr wirtschaftlich sein werde. Betroffen wären vor allem ländliche Regionen und infolgedessen kleinere (Regionalzeitungs-)Verlage, über deren Verteilnetze allerdings oft auch die überregionale Presse zugestellt wird. Und so hatte das Parlament Ende 2019 beschlossen, die Zustellung von Zeitungen und Anzeigenblättern mit 40 Mill. Euro zu subventionieren. Ein schon damals fragwürdiger Beschluss, sollte sich die Förderung doch an den Printauflagen orientieren. Digitale Zeitungen und Online-Informationsanbieter wären leer ausgegangen. Während der Pandemie änderte der Bundestag die geplante Förderung. Unter der Überschrift „Förderung der digitalen Transformation“ sollten die Verlage nun über mehrere Jahre 220 Mill. Euro bekommen, verteilt auf die Pressegattungen Tageszeitungen überregional und regional, Lokalzeitungen, Anzeigenblätter und Zeitschriften.

Gefahr für die Pressefreiheit

Dass das Bundeswirtschaftsministerium kurz vor dem Start der Transformationsförderung der Verlage in diesem Monat wegen verfassungsrechtlicher Bedenken kalte Füße bekam und die Umwidmung der bereits eingeplanten Haushaltsmittel in eine Corona-Soforthilfe für die Verlage dann im Haushaltsausschuss scheiterte, ist kein Schlag gegen die Pressefreiheit in diesem Lande, wie es die Verbandsvertreter insinuieren, sondern im Gegenteil ein Sieg für die Pressefreiheit. Wer glaubt, dass von der Existenz einer Print-Old-Economy in Deutschland die Pressefreiheit abhängt, der hat die Medienentwicklung gleich mehrerer Jahrzehnte verschlafen. Sofern die Pressefreiheit in diesem Land durch wirtschaftliche Veränderungen in Gefahr ist, dann einerseits durch das von Zwangsgebühren finanzierte Wachstum öffentlich-rechtlicher Informationsoligopolisten und andererseits durch die monopolistische Machtkonzentration bei Konzernen wie Google, Facebook oder Apple. Angesichts der zig Milliarden Steuervorteile, die Google & Co dank geschickter Standortpolitik und legalen Ausnutzens internationalen Steuerwettbewerbs gegenüber klassischen Medienunternehmen genießen, wären die 220 Mill. Euro ausmachenden Subventionen wirtschaftlich betrachtet eine Petitesse und könnten den absehbaren Niedergang tradierter Medienunternehmen bestenfalls verzögern. Verheerend wäre aber die psychologische Wirkung, wenn in diesem Land, dessen Verfassung die Staatsferne der Presse garantiert, der Eindruck entstünde, Zeitungsverlage und die Existenz von Redaktionen hingen am Tropf des Staates.

Interessenkonflikte absehbar

Nicht ganz ohne Grund wird den öffentlich-rechtlichen Sendern in Deutschland Hofberichterstattung und Regierungsnähe vorgeworfen, von der Berichterstattung über die Flüchtlingskrise bis zur Impfkampagne. Wenn Verlage Staatshilfen bekommen, sind dort Interessenkonflikte programmiert. Angesichts der in manchen Parteiprogrammen dominierenden Überzeugung vom „guten“ Staat, der alles zum Besten regeln soll in diesem Land, verursacht der Gedanke an eine in die nächste Legislaturperiode vertagte staatliche „Presseförderung“ mehr als nur ein ungutes Gefühl.

c.doering@boersen-zeitung.de