Unterm StrichTech-Konzerne

Techno-Hype, bis die Musik stoppt

Der KI-Boom treibt die Aktienkurse von Tech-Konzernen. Doch die Risiken aus Handelskonflikten mit China und Marktregulierungen wie in Europa sind noch nicht eingepreist und könnten die Tech-Blase zum Platzen bringen.

Techno-Hype, bis die Musik stoppt

Techno-Hype bis die Musik stoppt

Von Claus Döring

Der KI-Boom treibt die Aktienkurse von Tech-Konzernen. Doch die Risiken aus Handelskonflikten mit China und Marktregulierungen wie in Europa sind noch nicht eingepreist und könnten die Tech-Blase zum Platzen bringen.

An den Märkten werde eben Zukunft gehandelt, lautet die Standardantwort von Börsianern, wenn man sie auf den von fundamentalen Kennziffern völlig losgelösten Aktienhype von Big Tech anspricht. Vor allem der von ChatGPT und ähnlichen Anwendungen der künstlichen Intelligenz (KI) befeuerte Boom erinnert erfahrene Marktbeobachter an Exzesse wie die Dotcom-Blase Ende des 20. Jahrhunderts. Damals gehypte Werte wie Cisco, Nokia, Intel oder auch Deutsche Telekom haben ihre Kurshochs des Jahres 2000 bis heute nicht wieder erreicht, bei Microsoft und SAP dauerte es bis 2015, bei AMD und Qualcomm bis 2019.  

Diesmal sei alles ganz anders, behaupten Tech-Analysten und Investmentbanken, da erstens die Bewertungen noch nicht die Höhen der seinerzeitigen Internetblase erreicht hätten und zweitens der KI-Boom noch am Anfang stehe und nach den großen Tech-Konzernen in weiteren Wellen die ganze Wirtschaft erfassen werde. Neben den großen Tech-Konzernen und Plattformanbietern würden vor allem deren Ausrüster profitieren, insbesondere die Chiphersteller mit Nvidia an der Spitze.

Die Entwicklung im Jahresverlauf scheint den bullishen Erwartungen recht zu geben. Nvidias Aktienkurs ist nicht nur binnen Jahresfrist um 221% auf 462 US-Dollar geklettert, der Halbleiterspezialist für KI-Anwendungen hatte zuletzt auch über ein sehr starkes Wachstum von Umsatz und Gewinn berichtet. Auf Basis der ambitionierten Gewinnprognosen errechnet sich in der Tat ein Kurs-Gewinn-Verhältnis, das mit 36 nicht allzu weit von anderen Tech-Werten und dem S&P 500-Durchschnitt von 20 entfernt scheint. Keine Blase also, sondern noch Luft nach oben?

Wie dünn die Luft für Tech-Aktien geworden ist und wie risikoreich das Umfeld, hat sich dieser Tage gezeigt. Berichte über das Nutzungsverbot von iPhones für chinesische Staatsbedienstete haben die Apple-Aktie unter Druck gesetzt und in drei Tagen einen Verlust von 200 Mrd. Dollar Börsenwert ausgelöst. Ähnlich könnte es Nvidia treffen, wenn die Spannungen zwischen USA und China wieder zunehmen, sprich die USA ihre Handelsrestriktionen für Hightech-Exporte nach China ausweiten oder die taiwanesische TSMC, größter Auftragsfertiger der Nvidia-Chips, zwischen die Konfliktlinien geraten sollte. Kaum eingepreist scheint auch das Risiko, das neuerdings vom europäischen Markt für Big Tech ausgeht. Mit der Einigung der EU-Kommission in der zurückliegenden Woche, die Marktmacht von sechs sogenannten Gatekeepern für digitale Märkte zu beschränken, wird sich der Wettbewerbsdruck für die betroffenen US-Unternehmen Alphabet (Google), Amazon, Apple, Meta (Facebook), Microsoft und die chinesische Bytedance (Tiktok) und deren insgesamt 22 Plattformen erhöhen.  Die von der EU eingeforderte Interoperabilität, also die Nutzung der Plattformen auch mit Diensten anderer Anbieter, wird zulasten der Monopolrenten gehen, die Amazon, Google, Apple oder Microsoft bisher erzielen. Und wer erlebt hat, mit welcher Freude die EU-Kommission Regulierung vorantreibt, darf davon ausgehen, dass der jährliche Compliance-Bericht, in dem die Gatekeeper künftig ihre Gesetzestreue dokumentieren müssen, nur der Anfang ist.

Dass der KI-Branche von Goldman Sachs im bekannten Glauben göttlicher Eingebung noch weiteres Wachstum prophezeit wird und Tech-Analysten für die nächsten zehn Jahre Umsatzsteigerungen von bis zu 30% jährlich für KI-Halbleiter vorhersagen, ist mit Vorsicht zu genießen. Am Markt wird immer so lange getanzt, solange die Musik spielt. Das war bei jeder Blase so – bis sie geplatzt ist. Und den Takt bestimmt in diesem Fall nicht die nüchterne Abwägung von künftigen Chancen und Risiken, sondern die schlichte Exploration der bisherigen Booms in die Zukunft. Bei Tech-Aktien wird an den Märkten deshalb aktuell nicht die Zukunft, sondern die als Zukunft verkaufte Vergangenheit gehandelt.