LeitartikelTelekommunikation

Telekombranche an der Klagemauer

Die Hoffnung auf eine neue Regulierung, um die blanke Infrastruktur zu Geld zu machen, wird die Telekomkonzerne nicht weit bringen. Neue Dienste müssen her, auch dafür braucht es allerdings einen geeigneten Rahmen.

Telekombranche an der Klagemauer

Telekombranche

An der Klagemauer

Von Heidi Rohde

Von Telekom-Lenker Tim Höttges ist der Satz überliefert: „Wir sind ein Infrastrukturunternehmen mit ein paar Diensten obendrauf.“ Zugleich gerät der langjährige Vorstandschef des Bonner Konzerns zunehmend in Rage darüber, dass allein die blanke Infrastruktur in Europa nicht dazu taugt, die notwendigen und durchaus üppigen Investitionen zurückzuverdienen – was den Cashflow drückt und damit auch den Aktienkurs belastet. Die Ursache sieht der Manager nicht in eigenen Versäumnissen, sondern ebenso wie die Branche in Europa insgesamt in einer fehlgeleiteten Regulierung, die den Telekomfirmen unnötig Geld aus der Tasche zieht und Ideen für neue Erlösströme glattweg blockiert. Die Telekom, die von einer wachstums- und ertragsstarken US-Tochter profitiert, verweist dabei gern auf eine ungleich „bessere“ Regulierung im gelobten Land.

Allerdings wird auch in den USA ein Auktionsverfahren als Mittel der Wahl für die bestmögliche Allokation von Mobilfunkspektrum angesehen. Die Vorstellung der hiesigen Branche, die entsprechenden Lizenzen nach einem Beauty Contest für einen kleinen Obolus zu bekommen, steht dort nicht zur Debatte. Und auch die Idee, einen substanziellen neuen Erlösstrom zu generieren, indem Technologieriesen wie Google, Amazon oder Netflix für die Netzbeanspruchung zur Kasse gebeten werden, findet nicht nur in Deutschland keine Unterstützung. Sie hat wohl auch in den USA keine Chance. Die Telekomfirmen dort müssen sich etwas anderes einfallen lassen, um ihre Geschäftsmodelle weiterzuentwickeln, womöglich gar ein paar innovative Dienste.

Dabei haben drei landesweit tätige Telekomnetzbetreiber in den USA fraglos Skalenvorteile gegenüber der fragmentierten Unternehmenslandschaft der Branche in vielen, zumal auch teilweise kleinen europäischen Ländern. So laufen die Telekomfirmen mit Fusionsanläufen, die eine Reduzierung der Netzbetreiber auf drei in einem Land zum Ziel haben, bei den Behörden seit Jahren gegen Wände und die Übersetzung mancher Märkte durch eine Vielzahl von Anbietern erscheint zweifelhaft. Andererseits können die oft hart errungenen Konsolidierungsschritte auch nicht überbewertet werden. Schließlich ist die komfortable Marktstruktur damit nicht für alle Zeiten zementiert. Im Gegenteil: Die Komfortzone lockt neue Player an. So hat United Internet bereits kurz nach dem Zusammenschluss von Telefónica Deutschland und E-Plus mit der Drillisch-Übernahme den Boden bereitet, um dann im nächsten Schritt als Netzbetreiber Nummer 4 anzutreten. Auch in anderen Ländern mit drei Netzbetreibern trat alsbald ein disruptiver Newcomer in Erscheinung. Die französische Iliad mischte mit der Marke Free erst den heimischen und dann den italienischen Markt auf.

Und ganz sicher ist der amerikanische Markt vor unbequemen Innovationen nicht gefeit – auch wenn Amazon zunächst nicht die Absicht hat, selbst mit einem Mobilfunkangebot aktiv zu werden. Die großen US-Netzbetreiber werden auf neue Umstände reagieren müssen, ohne nach dem Staat zu rufen. Das gilt auch für die Telekom, wenn sie dort die laut Höttges „hochprofitablen Möglichkeiten“ auslotet, um Geld zu investieren.

Die gängige Drohkulisse, dass Europa bei der Digitalisierung den Anschluss verliert, weil sich der Netzausbau nicht rentiert und es daher an Investitionskraft für die nötige hochperformante Infrastruktur fehlt, wirkt unterdessen zunehmend durchlöchert. Denn anstelle der etablierten Telekomkonzerne pumpen Finanzinvestoren Milliarden in neue Firmenvehikel, die in Deutschland Glasfaser ausbauen. An Netzinfrastruktur wird die Digitalisierung also nicht scheitern, an fehlenden innovativen und funktionalen Diensten dagegen schon eher. Dass es dafür(!) nicht nur an Ideen, sondern vor allem auch an geeigneten politischen Rahmenbedingungen mangelt, ist allerdings richtig. So ist die Kürzung der Haushaltsbudgets für die Digitalisierung der Verwaltung – ein Innovationsterrain, wo auch Skalierung möglich wäre – sicher wenig hilfreich, um Unternehmen zu ermutigen, neue digitale Produkte und Services zu entwickeln. Und auch bürokratische Hemmnisse wie allzu komplexe Datenschutzregeln dürften dem Fortschritt im Wege stehen. Derlei Hürden beklagt die Telekombranche zu Recht.

Die Hoffnung auf eine neue Regulierung, um die blanke Infrastruktur zu Geld zu machen, wird die Telekomkonzerne nicht weit bringen. Neue Dienste müssen her.

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