LeitartikelBankenabwicklung

Tiefsitzendes Misstrauen lähmt die EU-Bankenunion

Die Institutssicherungssysteme von Sparkassen und Genossenschaftsbanken gehören unter Artenschutz. Aber auch die deutsche Seite ist gefragt.

Tiefsitzendes Misstrauen lähmt die EU-Bankenunion

EU-Bankenunion

Lähmendes Misstrauen

Von Stefan Reccius, Brüssel

Artenschutz für Institutssicherungs- systeme ist gerechtfertigt. Das darf aber nicht in Reformverweigerung münden.

Legt die EU-Kommission die Axt an die Institutssicherungssysteme von Sparkassen und Genossenschaftsbanken? Dieser ungeheuerliche Verdacht steht im Raum, seit ihre Pläne für die Reform der Bankenabwicklung in der Welt sind. Ein wahrgenommener „Paradigmenwechsel“ im Krisenrahmen für Banken treibt auch Deutsche-Bank-Chef Christian Sewing um: Er sorgt sich um die nationalen Einlagensicherungen und wohl auch vor steigenden Beiträgen zum Abwicklungsfonds SRF.

Die panischen Reaktionen zeugen von tiefsitzendem Misstrauen gegenüber den Brüsseler Absichten. Nach verbreiteter Auffassung handelt es sich bei dem, was die EU-Kommission präsentiert hat, allenfalls um einen kleinsten gemeinsamen Nenner. Evolution der nach wie vor defizitären Bankenunion statt „Abwicklung für alle“.

Die EU-Kommission will verhindern, dass immer wieder Steuerzahler die Zeche zahlen müssen, wenn Banken in Schieflage geraten. Grundsätzlich ist das zu begrüßen. Denn in der Vergangenheit waren Behörden und Politik mitunter zu freigiebig, wenn es um Bankenrettungen ging. Das gilt im Übrigen nicht nur für Italien, wo Bankinsolvenzen wiederholt die öffentlichen Kassen belastet haben. Sondern auch für Deutschland: Man denke an die milliardenschwere Rettung der Nord/LB.

Eines muss klar sein: Es wäre töricht, bewährte Sicherungssysteme ohne Not zu demontieren. Das würde, insoweit haben die Kritiker vollumfänglich recht, weder Sparern noch Banken noch der Finanzstabilität helfen. Verbandspräsidentin Marija Kolak weist mit gewissem Stolz darauf hin, dass in 90 Jahren nie eine Genossenschaftsbank in die Insolvenz geschickt oder der Einleger entschädigt werden musste. Jegliche Reform auf EU-Ebene muss den präventiven Charakter institutioneller Sicherungssysteme respektieren, auch wenn es sich um seltene Spezies handelt.

Von der EU-Kommission ist ein Bekenntnis gefragt, bewährte Institutssicherungssysteme von Sparkassen und Genossenschaftsbanken unter Artenschutz zu stellen. Sie sollte klarstellen, dass es ihr mitnichten darum geht, in Zukunft jede regionale Volksbank oder Kreissparkasse aus Brüssel abwickeln zu lassen. Ihr Hinweis, unverändert würden die nationalen Behörden von Fall zu Fall entscheiden, wirkt angesichts der Tragweite der Bedenken halbherzig und nicht überzeugend.

Im Gegenzug ist auch von deutscher Seite Entgegenkommen gefragt. An einer Form der Risikoteilung über Ländergrenzen hinweg führt langfristig kein Weg vorbei, um die Bankenunion zu vollenden. „Die Harmonisierung der nationalen Systeme reicht nicht aus“, stellen die Finanzmarktforscher Jan Pieter Krahnen und Tobias Tröger klar, zwei profunde Kenner der Materie. Staaten und Banken sind nach wie vor zu eng verwoben: die einen als letzte Instanz, wenn die Krise einer Bank gewisser Größe einen Flächenbrand auszulösen droht. Die anderen, indem sie fleißig Staatsanleihen auf ihre Bücher nehmen (die bislang im Übrigen mit keinerlei Eigenkapital zu unterlegen sind).

Die nun vorgesehene Reform wird das nicht ändern. Reflexartig wittern Kritiker wieder eine gemeinsame Einlagensicherung (Edis) durch die Hintertür. Dabei traut sich die EU-Kommission nicht mal mehr, eine kleine Lösung vorzuschlagen, etwa in Form einer gemeinschaftlichen Rückversicherung für die nationalen Einlagensicherungssysteme. Zu groß sind die Widerstände.

Genossenschaftsbanken und Sparkassen fordern, pauschal von der Reform der Regeln für Abwicklungen und Einlagensicherungen ausgenommen zu werden. Bundesfinanzminister Christian Lindner hat sich ihre Maximalforderungen eins zu eins zu eigen gemacht. Damit macht er es sich zu einfach.

Statt Verweigerung wäre eine Vision gefragt, wie gerechte Lastenteilung im Schulterschluss von Industrie und Politik gelingen kann. Unvoreingenommen und vorurteilsfrei. Stattdessen lähmt das tiefsitzende Misstrauen den Einfallsreichtum aller Beteiligten. Bis die nächste Krise allen schmerzlich vor Augen führt, woran es hapert.

BZ+
Jetzt weiterlesen mit BZ+
4 Wochen für nur 1 € testen
Zugang zu allen Premium-Artikeln
Flexible Laufzeit, monatlich kündbar.