KommentarOECD-Steuerreform

Total verkalkuliert

In Sorge vor dem Verlust von Steuersubstrat bei der Neuordnung von Besteuerungsrechten in einer digitalen Geschäftswelt hat sich Deutschland für die globale Mindeststeuer stark gemacht. Dabei haben die Protagonisten mit falschen Annahmen operiert. Unternehmen und Finanzverwaltung müssen es ausbaden.

Total verkalkuliert

OECD-Steuerreform

Total verkalkuliert

Von Angela Wefers

Die deutschen Haushaltsprobleme lösen wird sie nicht – die globale Mindeststeuer. Das Ifo-Institut hat in einer Kurzexpertise für das Bundesfinanzministerium die zu erwartenden Steuereinnahmen neu berechnet. Das Ergebnis bleibt mit 1,5 bis 1,7 Mrd. Euro deutlich hinter den Erwartungen der Forscher aus dem Frühjahr 2022 zurück. Damals lag die Spanne zwischen 1,6 und 6,2 Mrd. Euro. Finanzminister Christian Lindner (FDP) muss bei der Gesetzgebung zur Einführung der globalen Mindesteuer hierzulande zumindest nicht mit unangenehmen Überraschungen rechnen. In seinem Entwurf sind erstmals für 2026 noch weniger Mehreinnahmen angesetzt, als das Ifo nun prognostiziert hat.

Ersonnen haben die Steuerexperten von mehr als 140 Ländern – koordiniert in der OECD – ein komplexes System. Gewinne global agierender großer Konzerne werden mit mindestens 15% belastet und wenn nötig nachbesteuert. Schon Wolfgang Schäuble (CDU) hatte sich als Bundesfinanzminister für eine globale Mindesteuer starkgemacht. Sein Nachfolger Olaf Scholz (SPD) feierte den Durchbruch als Erfolg einer deutsch-französischen Initiative, um Gewinnverlagerung in Niedrigsteuerländer zu unterbinden. Die Aussichten auf nur magere Mehreinnahmen legt nahe, dass die Steuergestaltung der Unternehmen weit weniger aggressiv ist als politisch propagiert. Auf Unternehmen und Finanzverwaltung kommt aber enormer Mehraufwand zu. Die Steuer steht neben dem nationalen Regime als neues System. Die Unternehmen müssen es implementieren und anwenden; die Verwaltung muss Steuern berechnen und überprüfen. Warum auch rein national agierende Konzerne, die der globalen Steuer nicht unterliegen, dazu verpflichtet sind, bleibt ein Geheimnis. Wer Bürokratie abbauen will, sollte keine aufbauen.

Politisch habe sich die Protagonisten der globale Mindeststeuer total verkalkuliert. Sie sollte Deutschland bei der Neuverteilung von Besteuerungsrechten zugunsten von Marktländern davor bewahren, zu viel Steuersubstrat zu verlieren. Einnahmeeinbußen treffen in einer Welt ortsunabhängiger digitaler Geschäftsmodelle die profitablen Standorte. Deutschland gehört nicht dazu, stellt das Ifo nun fest – und prognostiziert damit auch dort ein kleines Mehraufkommen. Eine internationale Übereinkunft zu diesem Teil der Reform steht aus und ist überdies höchst unsicher. Es ist grotesk: In Verkennung seiner Position hat Deutschland Mehraufkommen als Kompensation für Einbußen erstritten, die es gar nicht hat. Es ist Zeit, über den Standort D nachzudenken.

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