Traurige Weihnachten in Sektlaune
Der Start ins neue Jahr war traurig in Italien. Die lange Zeit sehr niedrige Zahl der Corona-Neuinfektionen ist in den letzten Dezembertagen explosionsartig angestiegen. Viele private Feste und praktisch alle öffentlichen Festlichkeiten und Konzerte zum neuen Jahr sind abgesagt worden. Viele Italiener warteten an den Feiertagen stundenlang vor völlig überlasteten Teststationen, um bei ihren Weihnachtsbesuchen nicht Verwandte oder Bekannte anzustecken.
Millionen Italiener waren in Quarantäne, weil sie Kontakt zu einem Infizierten hatten und mindestens acht Millionen Urlauber sagten geplante Ferien ab: Ein weiteres Desaster für die arg gebeutelte Tourismusbranche des Landes, die 13% zum Bruttoinlandsprodukt beiträgt. Verschlimmert hat sich die Lage durch die Verschärfung der Einreisebestimmungen für Urlauber aus dem Ausland. Und seit die Bundesregierung Italien zum Hochrisikogebiet erklärt hat, gelten auch für Reiserückkehrer aus dem Belpaese erhebliche Einschränkungen. Ungeimpfte, vielfach Kinder, müssen in Quarantäne und können nicht in die Schule.
Die Tourismusindustrie verzeichnete 2021 etwa 60 Millionen Ankünfte und 120 Millionen Übernachtungen weniger als 2019. Und die wenigen, die verreisen, geben weniger aus, weil sie sich lieber in ihrem Ferienhaus oder der Ferienwohnung selbst etwas kochen, als ins Restaurant zu gehen oder zu shoppen. Carlo Sangalli, Chef des Branchenverbandes Confcommercio, rechnet damit, dass Tausende Betriebe dauerhaft schließen.
Trotz einer Impfquote von fast 90% ist Mailand wieder einmal besonders betroffen. Die Hotels waren in den Weihnachtsferien zu höchstens einem Viertel ausgelastet. Normal wären 70 bis 80%. Und die traditionellen Silvestermenüs der Restaurants wurden vielfach abgesagt. Viele Theater waren geschlossen, Konzerte fielen aus. Die Mailänder Scala musste coronabedingt alle Vorstellungen des Balletts „La Bayadère“ absagen. Dabei hatte das Opernhaus noch am 7. Dezember eine glanzvolle Saisoneröffnung mit Macbeth gefeiert. Prominente wie Modezar Giorgio Armani und Staatspräsident Sergio Mattarella standen im Zentrum der Aufmerksamkeit.
Nach Auffassung des Virologen Cesare Cislaghi haben sich angesichts der lange Zeit niedrigen Coronazahlen viele Milanesi in der Vorweihnachtszeit zu sicher gefühlt beim Einkaufen in den festlich geschmückten Straßen und bei Restaurant- und Barbesuchen. Außerdem zahlt die Stadt wohl den Tribut dafür, das wirtschaftliche Einfallstor in das Land zu sein.
Die Anti-Corona-Maßnahmen werden nun überall im Land verschärft. Auf den Straßen besteht Maskenpflicht. FFP2-Masken sind obligatorisch. Im Berufsleben soll vermutlich ab 5. Januar überall 2G gelten und für Ungeimpfte gilt bald quasi ein Lockdown: Sie dürfen nur noch in Geschäfte des täglichen Bedarfs wie Apotheken und Supermärkte. Wären nicht die Quarantäne-Regeln gelockert worden, so befände sich bald halb Italien in Quarantäne. Dienstleistungen und Unternehmen wären kollabiert.
Zu den wenigen Zufriedenen gehören die einheimischen Wein- und Sekthersteller. Sie blicken auf ein Rekordjahr zurück. Die Supermarktverkäufe sind um 12% gestiegen. Der Absatz von Schaumweinen erhöhte sich um 18,3%. Der Umsatz der Sektproduzenten stieg auf mehr als 2,4 Mrd. Euro, die Produktion wuchs innerhalb von zehn Jahren um 170%. Dabei gingen drei von vier Flaschen der Prosecco-, Franciacorta-, Asti- oder anderer Sektproduzenten in den Export – so viel wie nie.
Eingetrübt hat sich dagegen der politische Ausblick. Spätestens in drei Wochen soll ein neuer Staatspräsident gewählt worden. Alle warten auf die Entscheidung von Premierminister Mario Draghi: Kandidiert er für das weitgehend repräsentative Amt oder nicht? Unter den Vertretern der politischen Parteien herrscht Konsens, dass Draghi Ministerpräsident bleiben soll. Andernfalls besteht die Gefahr, dass Europa und die Märkte das zuletzt gewonnene Vertrauen in Italien verlieren und Europa womöglich die Zahlungen einstellt. Draghi schweigt einstweilen. Ungewohnt aktiv dagegen ist der 85-jährige Ex-Ministerpräsident und wegen diverser Delikte verurteilte Unternehmer Silvio Berlusconi, der seine Karriere gern krönen möchte.