Im BlickfeldÜberschuldung

Trügerisch niedrige Zahlen für faule Kredite

Notleidende Kredite gelten als Damoklesschwert. Eine Gefahr für Wirtschaft und Banken. Doch trotz Inflation und ökonomischer Unsicherheit steigen die Quoten noch nicht. Marktteilnehmer erwarten jetzt eine Trendwende.

Trügerisch niedrige Zahlen für faule Kredite

Trügerisch niedrige Zahlen für faule Kredite

Notleidende Kredite gelten als Damoklesschwert. Eine Gefahr für Wirtschaft und Banken. Erwartet wird nun ein signifikanter Anstieg der NPL-Quoten.

Von Wolf Brandes, Frankfurt
Von Wolf Brandes, Frankfurt

Die schwache Konjunktur und die höheren Zinsen fordern ihren Preis. Das hinterlässt Spuren in den Kreditportfolios der Banken. Doch noch ist es nicht so weit. „Die Bestände an notleidenden Krediten werden nach Einschätzung der Risikomanager in allen Assetklassen steigen“, sagt schon heute Christoph Schalast, Vorsitzender des Beirats der Bundesvereinigung Kreditankauf und Servicing (BKS).

Mit einer Umfrage unter Banken zu notleidenden Krediten (Non-Performing Loans, NPL) evaluiert die BKS mit der Frankfurt School of Finance, wie sich die NPL-Marktaktivitäten in der Vergangenheit entwickelt haben und welche Entwicklung die Marktteilnehmer erwarten.

Aus Sicht der Befragten erreichten sowohl der Lage- als auch der Erwartungswert des NPL-Barometers im Herbst die höchsten bisher gemessenen Werte. Dies bedeutet, dass so viele Banken wie nie zuvor steigende NPL-Bestände und sinkende Verkaufspreise von NPL-Portfolios sehen. Auch für den Bestand notleidender Kredite erwarten die meisten Befragten eine Zunahme an NPLs.

Stagnierende Zahlen

Anders als die Umfrage fällt die Schätzung für die NPL-Volumina in den deutschen Banken bis Ende 2023 und Ende 2024 eher niedrig aus. Für Ende 2023 werden 36,1 Mrd. Euro an notleidenden Krediten erwartet, bis Ende nächsten Jahres 41,6 Mrd. Euro. Zum Vergleich: Im Juni 2023 meldete die EBA 33,6 Mrd. Euro.

Beruhigend fallen die Schätzungen auch mit Blick auf die NPL-Quoten aus. Für unbesicherte Konsumentenkredite wird bis Ende 2023 im Schnitt mit einer Quote von 2,5% gerechnet. Bis Ende 2024 erwarten die Teilnehmer dann im Schnitt eine Quote von 2,8%. „Generell ist festzustellen, dass Deutschland in den vergangenen zehn Jahren sehr geringe NPL-Quoten aufwies und die derzeitigen Steigerungen demnach von einem niedrigen Niveau aus zu messen sind“, sagt Schalast.

Die Werte vom BKS passen zu den Daten der Europäischen Zentralbank. Die EZB hat für das zweite Quartal 2023 Zahlen aus ihrer Bankenaufsicht über große Institute veröffentlicht. Die Quote der EZB von notleidenden Krediten (NPL-Quote) ohne Guthaben bei Zentralbanken und andere Sichteinlagen (so die Definition der EZB) blieb im zweiten Quartal 2023 stabil und belief sich auf 2,3%.

Stufe-2-Kredite im Blick

Dabei erhöhte sich der Bestand an notleidenden Krediten in den von der EZB beaufsichtigten Banken um 4 Mrd. auf 343 Mrd. Euro. Bemerkenswert auch: Der Anteil der aggregierten Stufe-2-Kredite an den gesamten Krediten verringerte sich auf 9,2% nach 9,3% im Vorquartal. Bei den Stufe-2-Krediten besteht eine bedeutende Verschlechterung der Kreditqualität. Sie sind die Vorstufe zu NPL.

„Ich hätte erwartet, dass sich im Bankenbereich die Situation deutlich verschlechtert. Das ist so nicht eingetreten. Der negative Trend ist noch vergleichsweise schwach", sagt Marc Knothe, Deutschland-Chef des Kredit- und Inkassodienstleisters Intrum. Um die NLP-Quoten der EZB einzuordnen, müsse man aber beachten, dass die Europäische Zentralbank auf die großen Banken schaue und nicht auf kleinere Anbieter und Finanzdienstleister. "Wir sehen daher deutlich negativere Zeichen als die EZB, insbesondere weil wir auch andere Branchen betrachten, in denen negative Signale gegebenenfalls früher oder stärker auftreten, wie Energie und E-Commerce.“

NPL-Transaktionen rückläufig

Der Markt der Verbriefung von NPL-Krediten lichtet sich. "Die Anzahl der Investoren wird geringer. Die Käufer werden zudem immer selektiver", sagt Knothe. Die Preise für die Transaktionen seien in den letzten Monaten deutlich gefallen. Insgesamt habe sich die Stimmung am Transaktionsmarkt für Verbriefungen beziehungsweise Verkäufe von Portfolien verschlechtert.

Diese Entwicklung bestätigt die BKS. Die Entwicklung bei NPL spiegele sich in sinkenden Verkaufspreisen für Portfoliotransaktionen notleidender Kredite wider. Am Markt für notleidende Kredite zeige sich nun die Umkehr von einem Verkäufer- zu einem Käufermarkt – also ein Rückgang der Preise. Jürgen Sonder, Präsident der BKS: „Doch es gibt qualifizierte Instrumente, damit verantwortungsvoll umzugehen, haben doch EU-Kommission und EZB in den vergangenen Jahren ein effektives Set-up für das NPL-Management in Europa installiert, das aktuell auch in Deutschland umgesetzt wird.“

Neue EU-Regeln

Durch die neue EU-Richtlinie über Kreditservicestellen und Kreditaufkäufer (oft als NPL-Richtlinie bezeichnet), die von den Mitgliedstaaten bis Ende Dezember umgesetzt wird, sollen es Banken leichter haben, notleidende Kredite aus ihren Bilanzen zu entfernen. In der EU beobachtet man aufmerksam, ob es Anzeichen für einen möglichen Anstieg der Kreditausfälle vor dem Hintergrund einer schwachen Wirtschaft gibt, die sich dann nicht nur auf große Unternehmen und KMU, sondern auch auf bestimmte Segmente wie beispielsweise Gewerbeimmobilien auswirken würden.

Die Aufsichtsbehörden haben ihre Lehren aus der Finanzkrise 2008 gezogen, als die Banken in der EU mehr als 1 Bill. Euro an notleidenden Krediten anhäuften. Die Aufseher üben nun Druck aus, damit Banken frühzeitig handeln und NPL-Portfolios verbriefen oder verkaufen. Ein Schwerpunkt der neuen Regulierung ist die Entwicklung eines effizienteren Sekundärmarktes.

Ab Ende Dezember muss eine Bank, die ein NPL-Portfolio verkauft, detailliertere Informationen zu Krediten vorlegen als bisher. Ziel ist es, die Gruppe der institutionellen Anleger zu erweitern. Derzeit wird der Markt von einer kleinen Gruppe alternativer Manager wie Bain Capital, Cerberus und LCM beherrscht.

"Die neue EU-Verordnung zu Verbriefungen ist positiv zu bewerten, da es mehr Transparenz und Klarheit schafft. Andererseits bringt es mehr Arbeit für die jeweiligen Beteiligten mit sich. Ich denke, dass durch die Regulierung eine Konsolidierung am Markt vorangetrieben wird", lautet die Einschätzung von Intrum-Manager Knothe.

Verbraucher unter Druck

Während Banken unter dem Druck der Aufseher versuchen, NPL-Kredite schnell loszuwerden, sehen die Bedingungen bei der Kreditvergabe vor Ort ganz anders aus. Generell bestätigt sich eine allgemeine Verschärfung der Kreditstandards und eine sinkende Kreditnachfrage. So beobachteten 39% der Befragten einen starken oder leichten Rückgang der Nachfrage nach Konsumentenkrediten, schreibt BKS in der Analyse.

Intrum hat in einer Erhebung ermittelt, dass 55% der deutschen Verbraucher, die in den letzten zwölf Monaten eine Rechnung nicht bezahlt haben, dies häufiger tun. "Deutschland war beim Zahlungsverhalten in der Vergangenheit in der Intrum-ECPR-Studie immer im Mittelfeld. In diesem Jahr ist Deutschland auf den zweitschlechtesten Platz in Europa abgerutscht", so Knothe.

Im Bereich der Konsumentenkredite gebe es eine wachsende Anzahl von Fällen, bei denen es Zahlungsschwierigkeiten gibt. "Hierbei sehen wir insbesondere jüngere Konsumenten im Zahlungsverzug, die sich mit relativ niedrigen Konsumkrediten, BNPL, verschulden."

Überschuldung noch stabil

Die immer noch niedrigen NPL-Quoten korrespondieren mit Daten von Creditreform zur Überschuldung. „Ohne statistische Sondereffekte messen wir erstmals seit 2019 einen Überschuldungszuwachs“, sagt Patrik-Ludwig Hantzsch, Leiter der Wirtschaftsforschung bei Creditreform.

Der Anstieg der Überschuldung ist noch marginal. Das könnte sich ändern. „Die Überschuldung von Verbrauchern ist eng an die konjunkturelle Entwicklung geknüpft. Dabei sind die wirtschaftlichen Aussichten ungewiss, aber durch die Bank trübe“, so Hantzsch.

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