LEITARTIKEL

Über den Tellerrand

Seit Wochen erhitzt das Trauerspiel um Air Berlin die Gemüter, und noch ist nicht abschließend geklärt, wer was von dem insolventen Unternehmen bekommt. So wichtig die Ergebnisse der Verhandlungen für die Beteiligten sein mögen, für die...

Über den Tellerrand

Seit Wochen erhitzt das Trauerspiel um Air Berlin die Gemüter, und noch ist nicht abschließend geklärt, wer was von dem insolventen Unternehmen bekommt. So wichtig die Ergebnisse der Verhandlungen für die Beteiligten sein mögen, für die Luftfahrtindustrie insgesamt spielen sie eine eher untergeordnete Rolle. Denn die Musik bei den Airlines spielt längst nicht mehr in Deutschland und auch nicht mehr in Europa. Die Luftverkehrsbranche ist global aufgestellt, und ihre Trendsetter sitzen in den Golfstaaten und in Asien, vorrangig in China mit seinem riesigen Heimatmarkt.Das hält Lufthansa-Chef Carsten Spohr nicht davon ab, derzeit vor Zufriedenheit zu strotzen, weil es in Sachen Air Berlin für sein Unternehmen bestens läuft. Er kann mit den Zukäufen die Tochter Eurowings stärken, eines der wichtigsten Themen auf seiner Agenda. Für den Erfolg dieses Projekts kommt es ihm zupass, dass der wichtige Konkurrent Ryanair derzeit in der Klemme sitzt und erst einmal sein Pilotenproblem lösen muss. Ob Spohrs Bemühungen indes Früchte tragen, Eurowings also dauerhaft Gewinne abwirft, steht noch in den Sternen. Die Integration der diversen Neuzugänge muss gelingen und das ganze Konstrukt auf ein auskömmliches Kostenniveau gebracht werden.Während es Spohr schafft, in Europa Pflöcke einzuschlagen, bleibt er überzeugende Antworten auf die globalen Herausforderungen bisher schuldig. Die Fluglinien aus den Golfstaaten luchsen der Lufthansa und den anderen Europäern seit Jahren Passagiere ab, daran ändert auch ihre aktuelle Schwächephase nichts. In Asien hat sich die deutsche Fluglinie deshalb schon von einigen Destinationen zurückgezogen. Zuletzt wurde zwar eine Partnerschaft mit Etihad geschmiedet, diese diente aber vor allem der Anbahnung der Air-Berlin-Transaktion. Auch in der Verbindung mit Air China tritt der Carrier seit Jahren auf der Stelle.Die scharfe Konkurrenz im internationalen Geschäft, die sich zudem durch Langstreckenangebote von diversen Low-Cost-Carriern verstärken wird, wiegt umso schwerer, weil auf diesen Strecken die Ergebnisse der Lufthansa eingeflogen werden – oder eben nicht. Maßgeblich für die Ergebnisentwicklung ist, wie viele Tickets zu welchem Preis an Business- und First-Class-Passagiere für die Langstreckenverbindungen verkauft werden können. Und genau hier zehrt die Konkurrenz mit den Wettbewerbern vom Golf seit Jahren an den Margen. Dazu kommt, dass auch der Preiskampf mit den Amerikanern auf den Nordatlantikrouten zugenommen hat, die bisher ein verlässlicher Ergebnislieferant waren.Die Lufthansa steht derzeit in ihrer wirtschaftlichen Entwicklung zwar besser da als ihre großen Wettbewerber Air France-KLM und British Airways. In der strategischen Weichenstellung haben die Franzosen und Briten, was das internationale Geschäft angeht, aber die Nase vorn. Air France-KLM plant, sich kapitalmäßig mit ihren Partnern Delta Air Lines, Virgin Atlantic und China Eastern zu verflechten, und erhält damit Zugriff auf ein weltumspannendes Netzwerk, das unter anderem auch mit der brasilianischen GOL verbandelt ist. Aus bestehenden transatlantischen Partnerschaften wollen die Fluglinien dann ein globales Joint Venture gründen. Die Franzosen holen sich so zudem einen chinesischen Anteilseigner an Bord, der ihnen den Zugang zu einem der wichtigsten Luftfahrtmärkte weltweit erleichtern könnte.Auch die Lufthansa unterhält Partnerschaften in der ganzen Welt und hat Joint Ventures in Richtung Nordamerika sowie nach Asien vereinbart. Sie ist allerdings mit keinem der Unternehmen über eine Beteiligung verbunden. Auf globaler Ebene hat Lufthansa die Star Alliance vorzuweisen, einst Vorreiter unter den Airline-Bündnissen, die sich allerdings in den vergangenen Jahren wenig weiterentwickelt hat. Zudem gelten die Star-Mitglieder in Asien und Indien – also in den wachstumsstarken Märkten – als schwierige Partner, und in Richtung Südamerika klafft eine Lücke, die etwa British Airways durch die Verbindung zur Iberia längst geschlossen hat. Die Briten haben zudem Qatar Airways in das Aktionariat ihrer Muttergesellschaft geholt und so aus einem Wettbewerber einen Partner gemacht.Lufthansa-Chef Spohr spricht immer wieder davon, dass die Branche in Europa zu stark zersplittert sei und es noch mehr Konsolidierung brauche. Diese kommt sicher nach der Verteilung von Air Berlin nicht zu einem Ende. Dennoch wird es für Lufthansa höchste Zeit auch für einen Blick über den europäischen Tellerrand.——–Von Lisa SchmelzerDie Lufthansa steht derzeit geschäftlich gut da. Aber bei strategischen Weichenstellungen haben Wettbewerber, was das internationale Geschäft angeht, die Nase vorn.——-