Unterm StrichPharmareform

Die Gesundheitsunion ist kein Patentrezept

Die von der EU-Kommission geplante Pharmareform wird eine bittere Pille mit schweren Nebenwirkungen für den Pharmastandort und die Wettbewerbsfähigkeit europäischer Arzneimittelhersteller.

Die Gesundheitsunion ist kein Patentrezept

Gesundheitsunion
kein Patentrezept

Von Claus Döring

Die von der EU-Kommission geplante Pharmareform wird eine bittere Pille mit schweren Nebenwirkungen für den Pharmastandort und die Wettbewerbsfähigkeit europäischer Arzneimittelhersteller.

Wenn sich die EU-Kommission etwas patentieren lassen könnte, dann ist es ihr einzigartiger Drang zur Zwangsbeglückung der EU-Bürger. Eine noch bessere Versorgung mit Arzneimitteln zu noch günstigeren Preisen ist das Ziel der jetzt vorgestellten Überarbeitung des EU-Arzneimittelrechts, der größten Pharmareform seit zwei Jahrzehnten. Eine der geplanten Maßnahmen ist die Verkürzung des sogenannten Unterlagenschutzes für Originalpräparate von acht auf sechs Jahre, um preisweitere Nachahmerpräparate schneller auf den Markt bringen zu können. Ein anderes Vorhaben ist die Ermöglichung von Zwangslizenzen in Krisensituationen wie zuletzt in der Covid-Pandemie, auch ohne Einwilligung der betroffenen Pharmafirmen. Dabei haben in der Pandemie freiwillige Vereinbarungen und Lizenzierungen dafür gesorgt, dass innovative Impfstoffe auch in Afrika und Asien produziert werden konnten. Weil es während der Pandemie und in der Zeit danach in Europa zu Lieferengpässen bei einzelnen Medikamenten kam, will Brüssel außerdem eine Liste kritischer Arzneimittel erstellen, bei denen Lieferkettenüberwachung und Notvorräte die Versorgungssicherheit erhöhen sollen.

Leider krankt das Brüsseler Reformpaket an einer überzeugenden Diagnose der Unzulänglichkeiten, die während der Pandemie sichtbar wurden. Denn die unterschiedliche Versorgung beispielsweise mit Impfstoffen und anderen Medikamenten in den Ländern der EU hatte vor allem mit der jeweiligen nationalen Gesundheitspolitik und den sehr unterschiedlichen Corona-Strategien der einzelnen Mitgliedsländer zu tun. Die Idee einer „Europäischen Gesundheitsunion“, wie sie der EU-Kommission vorschwebt, wird daran nichts ändern, so lange die Gesundheitspolitik und damit auch die Gesundheitssysteme und ihre Finanzierung in der Zuständigkeit der nationalen Regierungen bleibt. Wobei letzteres nicht verkehrt sein muss, da sich gerade in der Pandemie gezeigt hat, dass ein Wettbewerb um den besten Weg von Vorteil ist.

Im günstigen Fall wird das Reformpaket ein Placebo sein, das die Bürger glauben lässt, eine europäische Regulierung könne und werde die Arzneimittelversorgung verbessern. Sehr wahrscheinlich aber wird es eine bittere Pille mit schweren Nebenwirkungen für den europäischen Pharmastandort. Innovationskraft und Wettbewerbsfähigkeit der Pharmaunternehmen werden unter kürzeren Schutzzeiten für Patente und Unterlagen leiden. Das befürchten Bundesregierung wie auch die Branchenverbände. Forschende Hersteller werden noch mehr als bisher schon Forschung und Entwicklung, insbesondere die klinische Forschung, in die USA und nach Asien verlagern. Das hat Folgen für die Versorgung der Bevölkerung mit innovativen Medikamenten.

Generikaproduzenten können diese Lücke nicht füllen. Ihr Geschäft mit Nachahmerpräparaten krankt seit Jahren am Preiswettbewerb beziehungsweise an Preisdiktaten nationaler Gesundheitssysteme. Wenn beispielsweise in Spanien ein Päckchen Kaugummi teurer ist als 20 Tabletten des Schmerzmittels Paracetamol, dann muss man sich nicht darüber wundern, dass europäische Anbieter sich zurückziehen und der Markt dann von indischen Firmen dominiert wird. Man erinnere sich an die Versorgungsengpässe mit Fiebersäften für Kinder, Antibiotika und bestimmten Krebsmedikamenten in Deutschland. Als Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach die Lektion gelernt hatte, dass auch Verfügbarkeit ihren Preis hat und er diese Arzneimittel aus den Festbeträgen der Krankenkassen herausnehmen ließ, löste sich der Engpass auf. Ohne Frage sind die Entwicklung von und die Versorgung mit Arzneimitteln auch in der EU noch verbesserungswürdig. Der Weg dahin führt aber nicht über mehr Regulierung oder eine „Gesundheitsunion“, sondern über mehr Markt und Wettbewerb.