KommentarRegulierung

Unverhofft kommt oft

Die Ergebnisse britischer Bankenstresstests finden immer weniger Beachtung. Seit 2016 ist kein Institut mehr durchgefallen. Doch die größte Gefahr für das Bankensystem geht von unerwarteten Risiken aus.

Unverhofft kommt oft

Bankenstresstest

Unverhofft kommt oft

Von Andreas Hippin

Die britische Bankaufsicht hat sich wirklich größte Mühe gegeben, den Verlauf einer möglichen Krise vorherzusehen. Seit 2014 traktiert die bei der Bank of England angesiedelte Prudential Regulation Authority die großen Institute mit Stresstests, denen mitunter weitaus dramatischere Szenarien als die Finanzkrise von 2008 zugrunde liegen. Dieses Mal wurde erstmals von steigenden Zinsen ausgegangen. In den Jahren der Nullzinspolitik, die auf die Krise folgten, war das kein Thema. Dabei wurde das Planspiel von der Wirklichkeit nahezu eingeholt. Mittlerweile liegt der Leitzins der Bank of England bei 5,0%. Im August wird von Volkswirten eine weitere Erhöhung um 50 Basispunkte erwartet. Im Szenario stieg der Leitzins bis auf 6,0%. Allerdings handelten die Notenbanker darin wesentlich agiler als in der Realität. Es wurde weder unterstellt, dass fällige Zinsschritte unter Verweis auf die vermeintlich vorübergehende Natur möglichst lange hinausgezögert werden, noch dass der Leitzins sicherheitshalber noch weit über das nötige Maß hinausgeschraubt wird, um zu zeigen, dass man seine Lektion gelernt hat. Ansonsten war das Szenario apokalyptischer als 2019, aber letztlich berechenbar.

Vermutlich finden die Resultate solcher Stresstests deshalb so wenig Beachtung. Man weiß schon im Voraus, worauf man sich einstellen muss. Seit 2016 musste kein Institut mehr seine Kapitalausstattung aufpolstern, nachdem es ein schlechtes Ergebnis eingefahren hatte. Dass Hypothekenschuldner in Zahlungsverzug geraten können, wenn die Zinsen so schnell steigen wie in den vergangenen Monaten, ist keine Überraschung. In der politischen Auseinandersetzung zwischen Regierung und Opposition mag das eine große Rolle spielen, aber die Institute waren schon zuvor vorsichtig bei der Kreditvergabe. Für solche Dinge gibt es Modelle. Es sind die unerwarteten Risiken, die unbekannten Unbekannten, um mit dem ehemaligen US-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld zu sprechen, von denen die größten Gefahren für das Finanzsystem ausgehen. Weil das Szenario der britischen Aufsicht schon im vergangenen Herbst fertiggestellt wurde, hatten der Zusammenbruch von Credit Suisse und die Krise der US-Regionalbanken keinen Einfluss mehr darauf.

Unverhofft kommt oft. Wer hätte sich vorstellen können, dass US-Bankkunden plötzlich auf die Idee kommen würden, massenhaft nachzusehen, ob ihr Geld noch da ist, um es dann lieber mit nach Hause zu nehmen? Da kommt es schnell zu einem Domino-Effekt, den kein Stresstest vorhersehen kann.

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