Im BlickfeldInterbankenzins

US-Banken drohen über Nacht neue Kreditrisiken

Die Libor-Nachfolgerate Sofr soll den Interbankenmarkt und die Berechnung von Kreditzinsen transparenter machen. Doch die Verwendung des neuen Referenzsatzes wirft für Finanzinstitute Probleme auf.

US-Banken drohen über Nacht neue Kreditrisiken

Im Blickfeld

US-Banken drohen neue Kreditrisiken über Nacht

Die Libor-Nachfolgerate Sofr soll den Interbankenmarkt und die Berechnung von Kreditzinsen transparenter machen. Doch die Verwendung des neuen Referenzsatzes wirft für Finanzinstitute Probleme auf.

Von Alex Wehnert, New York

Mit der London Interbank Offered Rate (Libor) ist Ende Juni der jahrzehntelange Leitstern für die Berechnung von Kreditzinsen untergegangen – nun wirft ein kalter Mond sein Licht über den Markt für Übernachtgeschäfte. Denn die Libor-Nachfolgerate Secured Overnight Financing Rate (Sofr), die bereits die Benchmark für mehr als 95% aller US-Kredite bildet, soll zwar weniger manipulationsanfällig sein als der skandalumwobene alte Referenzsatz. Doch schränkt der Umstieg auf den 2018 eingeführten Interbankenzins Finanzinstitute laut Analysten erheblich in ihrem Risikomanagement ein.

Hohe Aktivität

Sofr stellt ein Maß für die Kosten von durch Treasuries besicherten Übernachtkrediten im Dollar-Repo-Markt dar, der als tiefer und liquider gilt als jedes andere Geldmarktsegment. Die täglichen Volumina Sofr-gebundener Transaktionen bei der Federal Reserve von New York belaufen sich regelmäßig auf über 1 Bill. Dollar und haben seit Anfang Mai sogar Rekordniveaus von über 1,5 Bill. Dollar erreicht.

Damit fallen sie um ein Vielfaches höher aus als der Gegenwert, auf den Libor-gebundene Großfinanzierungen führender globaler Banken zuletzt kamen. Dieser lag laut dem Fed-Komitee für alternative Referenzraten im Bereich von 500 Mill. Dollar. Bei dem alten Interbankensatz herrschte damit ein massives Missverhältnis zwischen den zugrunde liegenden Transaktionen und den über 200 Bill. Dollar an Finanzkontrakten, die an den Dollar-Libor gekoppelt waren.

Für Banken, die an der Berechnung der Ex-Benchmark mitarbeiteten, war es damit attraktiv, je nach Positionierung ihrer Derivatehändler künstlich hohe oder niedrige Zinssätze anzugeben. Im Jahr 2012 wurde bekannt, dass Barclays die Referenzrate jahrelang manipuliert hatte. Insgesamt waren wohl bis zu 20 Geldhäuser in den Skandal verstrickt – im Jahr 2017 beschloss die britische Aufsicht FCA deshalb das Libor-Ende.

Mit Sofr soll der Markt nun transparenter werden. Doch anders als Libor enthält die neue Rate keine Credit-Komponente, die das Risiko unbesicherter Finanzierungen abdeckt. Heißt: Zuvor konnten Marktteilnehmer Bankrisiken anhand des Spreads zwischen dem alten Interbankensatz und den durchschnittlichen Zinsen im Fed-Funds-Markt bewerten, in dem staatlich gestützte US-Kreditinstitute mit Geschäftsbanken interagieren. Diese Möglichkeit fehlt ihnen nun.

Aus Sicht der Geldhäuser ist indes problematisch, dass Sofr aufgrund der mangelnden Credit-Komponente bei Marktverwerfungen in der Regel fällt, da Investoren eine lockerere Geldpolitik erwarten. Diese Entwicklung zeigte sich während des Corona-Marktcrashs 2020, als die besicherte Rate binnen eines Monats von 1,64% auf 0,01% absackte.

Inzwischen liegt Sofr bei 5,09%. In Krisenzeiten dürften sinkende Niveaus laut Analysten indes schwer auf den Erträgen aus dem Kreditgeschäft der Banken lasten. Insbesondere Schuldner mit revolvierenden Kreditfazilitäten sind dann in der Lage, sich äußerst günstig Fremdmittel zu beschaffen – und dies ausgerechnet zu Zeitpunkten, zu denen Banken üblicherweise höhere Zinsen auf ihre eigenen Anleiheemissionen bieten müssen. Es entstünde ein aus Sicht der Geldhäuser teures Ungleichgewicht.

Die Fed zwingt die Banken zwar nicht, Sofr zu nutzen. Ihnen stehen auch Credit-sensitive Alternativen wie Ameribor zur Verfügung, die allerdings eine geringere Marktliquidität bieten. Die Internationale Organisation der Wertpapieraufsichtsbehörden (IOSCO) mahnte bei der Nutzung solcher Alternativsätze erst zu Beginn der laufenden Woche Vorsicht an. Bestimmte Credit-sensitive Raten nutzten Daten zu Geldmarkttransaktionen und Sparbriefen als Grundlage, die nicht ausreichend tief seien. Ohne Anpassung könne ihre Verwendung die Marktintegrität und die Finanzstabilität gefährden. Deshalb schlägt die IOSCO den nationalen Aufsichtsbehörden vor, Lizenzierungsbeschränkungen für Alternativsätze und auf diesen basierenden Finanzprodukte zu prüfen.

Zinsswaps im Fokus

Die Fed limitiert die Nutzung von Derivaten, die an sogenannte Term-Sofr-Varianten gebunden sind, bereits. Im Gegensatz zum Übernachtsatz Sofr handelt es sich dabei um vorwärts gerichtete Referenzraten, die eine ähnliche Funktion übernehmen sollen wie der Drei-Monats-Libor. Aufseher wollen indes verhindern, dass der Markt zu abhängig von Derivate-Benchmarks wird, denen es an grundlegender Liquidität mangelt. Gemäß der Richtlinien des zuständigen Fed-Komitees können Term-Sofr-Kreditnehmer sich zwar über Zinsswap-Geschäfte mit einem Wertpapierhändler absichern, dieser kann das Risiko aber nicht an dritte Parteien weitergeben.

Stattdessen muss er ein unvollständiges Hedging betreiben, indem er Übernacht-Sofr-Derivate am Interdealer-Markt anbietet. Entwickelt sich der Spread zwischen Übernacht- und Term Sofr nur gerigfügig zum Nachteil des Wertpapierhändlers, drohen ihm bei einzelnen Trades zweistellige Millionenverluste. Verschiedene Marktteilnehmer, darunter J.P. Morgan und TD Securities, haben in den vergangenen Monaten vor diesem Risiko gewarnt. Folglich sei damit zu rechnen, dass Dealer künftig höhere Gebühren für Gläubiger stellten, die sich über Term-Sofr-Swaps absichern wollten.

Die Hoffnung der Marktteilnehmer ruht nun auf der weltgrößten Terminbörse: Die Chicago Mercantile Exchange führt angeblich Gespräche über einen Abwicklungsservice für Basisswaps, mittels derer Dealer Term- und Übernacht-Sofr-Derivate im Paar handeln können. Ein neues Paketprodukt könnte den Marktteilnehmern dabei helfen, Zinsrisiken effektiver abzusichern – und die Nacht am Interbankenmarkt etwas aufhellen.