LeitartikelUS-Banken

US-Banken stehen vor unterschätzten Risiken

Äußerungen aus den Führungsetagen der US-Banken zum Kapitalmarktgeschäft hellen die Stimmung an der Wall Street auf. Die gefährlichen Effekte noch bevorstehender Zinserhöhungen auf das Investmentbanking und das Risikomanagement drohen dabei aus dem Fokus zu geraten.

US-Banken stehen vor unterschätzten Risiken

US-Banken

Unterschätzte Risiken

Von Alex Wehnert

Optimistische Äußerungen führender US-Banker drohen die Marktteilnehmer von anhaltend hohen Risiken abzulenken.

In den Kapitalmarkt-Abteilungen der US-Banken herrscht nach Monaten des Leidens plötzlich wieder aufgehellte Stimmung. Doch kommt der Optimismus für das Geschäft mit Fusionen und Übernahmen nicht nur verfrüht – die zuversichtlichen Äußerungen führender Vertreter der Finanzbranche drohen auch die Marktteilnehmer von den hohen Risiken im Sektor abzulenken. „Grüne Triebe“, so lautet dieser Tage eine der Lieblingsformulierungen an der Wall Street. Vorstandsmitglieder von J.P. Morgan, Goldman Sachs und Morgan Stanley wollen solchen Neuwuchs in der Kapitalmarktaktivität sprießen sehen. James Gorman, CEO des letztgenannten Hauses, betonte bei der Vorlage der Zahlen zum zweiten Quartal erneut, „konstruktivere Töne“ aus der Kundenbasis zu vernehmen. Morgan-Stanley-Finanzchefin Sharon Yeshaya beobachtet angeblich gar den Aufbau eines Transaktionsrückstaus.

Die vermeintlichen Erholungstendenzen drücken sich bisher aber nur teilweise in den Ergebnissen aus. Bank of America steigerte die Gebühreneinnahmen aus dem Investment Banking zwischen April und Juni zwar um 7% auf 1,21 Mrd. Dollar, bei Morgan Stanley entwickelt sich der Wert hingegen flach. Bei J.P. Morgan bietet der Rückschlag um 6% in der Coporate- und Investmentbank sowie um 5% auf Konzernebene indes wenig Grund zum Jubeln. Und Goldman Sachs musste am Mittwoch einen Einbruch der Gebühreneinnahmen um ein Fünftel vermelden.

Wenngleich die US-Restaurantkette Cava und Kenvue, die Consumer-Health-Tochter des Pharmariesen Johnson & Johnson, zuletzt starke Börsendebüts hingelegt haben: Zwei Schwalben machen noch keinen Sommer. Die Zeichen stehen so, dass die Federal Reserve 2023 noch zu mindestens zwei Zinserhöhungen greift, die erste dürfte schon in der kommenden Woche fällig werden. Damit steht eine Verschärfung der Liquiditätsknappheit an den Finanzmärkten an, die länger Bestand haben dürfte als von chronisch optimistischen Analysten in den vergangenen Monaten vorhergesagt. In Kombination mit der konjunkturellen Unsicherheit ergibt dies auch weiterhin kein besonders freundliches Umfeld für fremdfinanzierte Übernahmen und Börsengänge.

Die Manager der Finanzinstitute verweisen unterdessen auf die positiven Effekte der restriktiven Geldpolitik. Zwar beschert diese den Banken höhere Netto-Zinserträge, bei J.P. Morgan erreichten sie im zweiten Quartal mit 21,78 Mrd. Dollar gar einen Rekordwert. Anhand der Zahlen des Branchenführers wird aber auch ersichtlich, dass ein gewichtiger Vorteil zu bröckeln beginnt: Bisher konnten US-Banken infolge des kontraktiven Fed-Kurses hohe Raten für Kredite verlangen, mussten die auf Einlagen gezahlten Sätze aber nicht in gleichem Ausmaß anheben.

Doch bei J.P. Morgan fiel die Netto-Zinsmarge im abgelaufenen Quartal mit 2,62% bereits einen Basispunkt niedriger aus als im ersten Jahresviertel, nachdem sie zuvor in sechs aufeinanderfolgenden Quartalen zugelegt hatte – zuletzt noch sehr kräftig. Dies liegt nicht nur an einem verschärften Wettbewerb um Einlagen. Banken können sich infolge der steilen US-Zinskurveninversion zudem nicht mehr zu günstigen Konditionen Geld bei der Fed leihen und zugleich zu weitaus höheren Raten Kredite vergeben oder langlaufende Treasuries erwerben.

Es sind vielmehr die Nachteile der restriktiven Geldpolitik, die bei Anlegern im Fokus stehen sollten. Kombiniert haben die sechs größten US-Banken zwischen April und Juni mehr als 3,6 Mrd. Dollar für faule Kredite beiseitegelegt. Daran tun sie nur gut, stellt die Aussicht auf neue Zinserhöhungen die Zahlungsfähigkeit vieler Schuldner doch erheblich infrage. Das Ende der Fahnenstange dürfte bei den Rückstellungen aber noch nicht erreicht sein. Denn nachdem viele Junk-Bond-Emittenten die lockere Geldpolitik der Vorjahre nutzten, um sich günstige Kredite zu sichern, rollt ab dem kommenden Jahr eine Refinanzierungswelle auf den Markt zu. Die Einstufungen der Ratingagenturen dürften die damit einhergehenden Risiken noch nicht ausreichend reflektieren. Kommt es erstmal in größerem Stil zu Anpassungen, dürfte sich die Furcht vor steigenden Defaults noch verstärkt in den Bankbilanzen niederschlagen. Mit einem weiteren Ausbau der Rückstellungen für faule Kredite sollten dann neuerliche Belastungen für die Gewinne einhergehen.